Der Wert der Wohnimmobilien in der Schweiz ist in den letzten zehn Jahren um über 900 Milliarden Franken gestiegen
Dank florierender Wirtschaft, mehr Jobs, tiefen Zinsen sowie der Zuwanderung hat der Wert von Wohnliegen- schaften seit 2003 um rund 50% zugenommen.
Die Schweiz ist ein Magnet für ausländische Arbeitskräfte. Intensiv wird darüber diskutiert, wie sich die Zuwanderung auf die Arbeitsplätze, Löhne, Mieten und Verkehrswege auswirkt. Der Dichtestress hat aber auch eine finanzielle Seite, die kaum in die Debatte einfliesst: Die höhere Nachfrage nach Wohnraum hat zusammen mit anderen Faktoren die Aufwertung von Boden und Liegenschaften verstärkt.
Seit 2003 ist in der Schweiz der Wert
- von Einfamilienhäusern um 70% auf 840 Mrd. Fr.,
- von Eigentumswohnungen um 90% auf 668 Mrd. Fr.,
- und aller Mietwohnungen um 52% auf 797 Mrd. Fr. geklettert.
Die Fachleute von Wüest & Partner, einer führenden Immobilienberatungsfirma, haben errechnet, dass der Wert aller Wohnimmobilien in der Schweiz seit 2003 um 939 Mrd. Fr. zugenommen hat (Grafik 1). Zieht man davon die Neuinvestitionen in den Wohnbau ab (zirka 275 Mrd.), verbleibt eine substanzielle Wertsteigerung von 664 Mrd. Fr. Das entspricht einem Plus von fast 50% über die letzten zehn Jahre.
Woran liegt das? «Wir haben in der Schweiz in den letzten Jahren eine erfreuliche wirtschaftliche Entwicklung bei tiefer Arbeitslosigkeit erlebt, die realen Pro-Kopf-Einkommen sind gestiegen - und damit auch die Zahlungsbereitschaft für Wohnraum», erklärt Robert Weinert, Manager bei Wüest & Partner. Die Bevölkerung leiste sich besseren Wohnraum - und in vielen Lagen auch mehr Fläche pro Kopf. In den Grosszentren sei der Flächenverbrauch etwa stabil geblieben.
Die gute Konjunktur hat dazu geführt, dass die Beschäftigung seit 2003 um 15% gestiegen ist (Grafik 3). «Das wiederum hat die Zuwanderung gefördert. Sieht man von den Grenzgängern ab, haben die zusätzlichen Arbeitskräfte aus dem Ausland die Nachfrage nach Wohnraum erhöht», beobachtet Weinert. Die Nettozuwanderung von rund 60 000 Personen jährlich in den letzten zehn Jahren (Grafik 2) hat wesentlich dazu beigetragen, dass die Quote von Neubauten mit 1% bis 1,2% pro Jahr ziemlich hoch geblieben ist. «Der verstärkte Nachfragedruck hat die Preise von Immobilien steigen lassen, insbesondere von Wohneigentum», so Weinert.
Aus Investorensicht gilt es zu berücksichtigen, dass sich die Zinsen seit Ende 2008 nahe null bewegen (Grafik 4) und die Finanzierungskosten für Immobilien dadurch ausserordentlich günstig waren. Nach der Finanzkrise und den starken Einbrüchen der Aktienkurse haben viele Anleger nach Alternativen gesucht; sie fanden sie oft in Immobilien. Dank günstiger Refinanzierung und Anreizen über Subventionen sind auch Umbauten und Renovationen von Häusern häufiger durchgeführt worden.
Den Investitionsaspekt betont auch Christian Kraft, Immobilienexperte bei der Credit Suisse. «Ab 2009 haben die sehr tiefen Zinsen die Konjunktur als Treiber der Immobilienpreise abgelöst», betont Kraft. «Der Zinssatz ist eine zentrale Grösse im Kapitalisierungssatz und beeinflusst so den Wert der Immobilie.» Überdies dürften die damals relativ tiefen Preise und die Attraktivität von Immobilien als Anlageklasse eine grosse Rolle bei der Wertentwicklung gespielt haben.
Die tiefen Zinsen haben vor allem die Nachfrage nach selbstgenutztem Wohneigentum erhöht, «es gab und gibt eine Verlagerung von Mietwohnungen zu Eigentumswohnungen», so Kraft. «Bei den Wertsteigerungen von Liegenschaften mit Mietwohnungen spielte jedoch die Zuwanderung eine grössere Rolle», erklärt der Immobilienfachmann der CS. «Zudem hat sich gezeigt, dass sich die Liegenschaften aufgrund der verstärkten Zuwanderung auch problemlos füllen lassen.» Die Zuwanderung sei nicht allein ausschlaggebend für die verstärkte Investition in Wohnliegenschaften gewesen. «Aber sie hat Investoren zusammen mit den tiefen Zinsen dazu bewogen, weitere Projekte in Angriff zu nehmen und zu investieren.»
Von den Wertsteigerungen profitieren vor allem die Immobilienbesitzer. Das sind Private, aber auch Versicherungen und Pensionskassen. Letztere halten in der Schweiz Immobilien im Wert von 108 Mrd. Fr., was 16% ihrer Aktiven entspricht.
Quelle: NZZ am Sonntag, Daniel Hug