Heute ein interessanter Artikel in der NZZ am Sonntag zum EZB Tender welcher nächsten Mittwoch kommt. Dw wird wieder eine ganze Menge Geld in den Markt gespühlt, wie Metropolit vor ein paar Wochen schon angedeutet hat.
Mario Draghi ist in der Euro-Krise ein spektakulärer Befreiungsschlag gelungen. Der Chef der Europäischen Zentralbank gewährt den Banken am Mittwoch noch einmal Kredite in unbegrenzter Höhe. Ein Manöver mit hohen Risiken.
Als Mario Draghi am 8. Dezember in Frankfurt vor die Presse trat, machte er vor allem deutlich, was die Europäische Zentralbank (EZB) unter ihm alles nicht tun wird. Keinesfalls wird sie notleidende Staaten finanzieren, weder direkt über den Aufkauf neu emittierter Staatsanleihen noch indirekt über eine Aufstockung des europäischen Rettungsfonds. Auch die Käufe von Anleihen auf dem Zweitmarkt wird sie nicht ausweiten. Kurz gesagt: Draghi schloss sich den Notenbankern aus Deutschland an, die sich gegen exakt diese Massnahmen ausgesprochen hatten. Nur keine Inflation riskieren. Draghi, damals seit einem Monat im Amt, wirkte noch zögerlicher als sein Vorgänger Jean-Claude Trichet, unter dem die Euro-Krise eskaliert war.
Es war der perfekte Bluff. Angesichts der schmallippigen Blockade-Rhetorik des einstigen Jesuitenschülers wurde kaum beachtet, was die EZB an jenem Tag eigentlich bekanntgab. Die Zentralbank hatte nach heftiger interner Debatte beschlossen, sämtlichen Geschäftsbanken an zwei Terminen Kredite in unbegrenzter Höhe zu gewähren, die sie erst drei Jahren später zurückzahlen müssen. Ein einmaliger Vorgang in der Geschichte der EZB: Bisher hatten die Darlehen der Notenbank grundsätzlich kürzere Laufzeiten. Drei Jahre reichen den Geschäftsbanken aus, das derzeit mit nur 1% verzinste Geld zum Beispiel in höher dotierte Staatsanleihen zu investieren - ein lukrativer «Carry Trade».
Am 21. Dezember liehen sich 523 Banken insgesamt 489 Mrd. € bei der EZB. Die nächste Gelegenheit bietet sich am Mittwoch, dem 29. Februar. «Dieses Mal könnte die Nachfrage sogar noch etwas höher ausfallen», sagt Andrew Bosomworth, Leiter des deutschen Fondsgeschäfts von Pimco. «Auch deutsche Banken haben signalisiert, das Geld für Carry Trades einsetzen zu wollen. Zu erwarten ist eine Gesamtsumme im Bereich von 500 bis 550 Mrd. €.» Macht insgesamt etwa eine Billion Euro. Nur 15 der 63 von Reuters in einer Umfrage befragten Analysten glauben, dass die Banken das Geld in erster Linie nutzen, um Eigenkapital aufzustocken. Draghi beschert dem europäischen Finanzsystem eine bisher nicht da gewesene Geldschwemme.
So viel Liquidität geht nicht spurlos an den Märkten vorbei. Das zeigte sich bereits am Tag, als die Banken ihre Anträge für die erste Tranche bei der EZB deponierten: Spanien musste auf Staatsanleihen mit dreimonatiger Laufzeit auf Jahresbasis nur Zinsen von 1,7% gewähren - einen Monat vorher waren es noch 5,1% gewesen. Auch die Renditen auf Anleihen anderer Krisenstaaten sind seit Dezember deutlich gesunken. Während damals sogar der Kernstaat Frankreich in den Krisenstrudel zu geraten drohte, können sich jetzt plötzlich auch Problemländer wie Italien wieder zu erträglichen Konditionen refinanzieren. «Bisher ist der Deal perfekt aufgegangen», schreibt Daniel Hartmann, Analyst beim Anleihemanager Bantleon.
Auch andere Vermögenswerte, von Aktien über Unternehmensanleihen bis zu Rohstoffen, profitieren laut Hartmann vom Liquiditätsschub der EZB. Er liefert eine Erklärung für den Aufwärtstrend, der seit Anfang Jahr sektorübergreifend zu beobachten ist und der auch Schweizer Aktien erfasst hat. Solche Effekte sind endlich. Auch die amerikanische Notenbank Fed löste mit ihrem Anleihenkauf-Programm («QE2») im Herbst 2010 eine Aufschwungphase aus, die im Sommer 2011 ein jähes Ende fand.
Aktivistisch veranlagte Grössen der Finanzwelt sind begeistert, dass die EZB nun auf den Pfaden des Fed wandelt. «Ich bin sehr beeindruckt von Mario Draghi», sagte Nobelpreisträger Paul Krugman bei einer Podiumsdiskussion in New York. Erst habe er wie sein Vorgänger die Doktrin, keine neuen Staatsanleihen zu kaufen, wiederholt. «Und dann dreht er sich herum und leiht den Banken enorm viel Geld, damit diese die Anleihen kaufen.» Hedge-Fund-Legende George Soros urteilte: «Draghi hat eine sich abzeichnende Kreditklemme verhindert.»
Die vor allem in Deutschland sitzenden Anhänger einer straffen und prinzipientreuen Geldpolitik verhalten sich dagegen bisher verblüffend still. Eigentlich bietet ein Italiener, der einst bei der Investmentbank Goldman Sachs gearbeitet hat und nun die Bilanzsumme der EZB in die Höhe schiessen lässt, grosse Angriffsflächen. Immerhin war der damalige Bundesbankchef Axel Weber zurückgetreten, weil er die - vergleichsweise harmlosen - Anleihenkäufe Trichets nicht mittragen wollte. Doch Draghi hat sich bis heute ein Image erhalten, das im Widerspruch zu seinen jetzigen Taten steht. «Er ist ziemlich deutsch, sogar richtig preussisch», schrieb das auflagenstarke Boulevardblatt «Bild» vor seiner Ernennung.
Dabei würde ein mit Verzögerung folgender Inflationsschub vor allem Deutschland treffen. Davon ist der in München lebende Pimco-Manager Bosomworth überzeugt. «Ein Grossteil der Liquidität wird nach Deutschland fliessen», sagt er. «Langfristig wird die Massnahme deswegen die Inflation in Deutschland beflügeln. Im Immobiliensektor ist die Teuerung schon jetzt zu beobachten, und es ist eine Frage der Zeit, wann sich die Preissteigerung auf andere Sektoren überträgt.»
Bantleon-Analyst Hartmann umreisst noch ein anderes, extremes Negativszenario: «Die zusätzliche Liquidität dürfte für Rückenwind in allen Asset-Klassen sorgen und den Kursen zunehmend die realwirtschaftliche Bodenhaftung nehmen. Am Ende könnte die Finanzwelt wieder dort ankommen, wo sie schon einmal Mitte 2008 stand: Die Risikoprämien innerhalb der Euro-Zone sind komplett nivelliert.» Mitte 2008 kosteten griechische Staatsanleihen bekanntlich genauso viel wie jene aus Deutschland. Wünschenswert ist eine Wiederholung nicht. Als die Kurse wieder auseinanderdrifteten, führte das zu den schweren Verwerfungen, welche die Finanzwelt bis heute in Atem halten.
Quelle: NZZ am Sonntag