«DER SILBERSTREIFEN IST DA»Peter Pauli, CEO des Solarzulieferers Meyer Burger, über die darbende Industrie, Chancen und EnttäuschungenVon Alice ChalupnyThun Der einstige Börsenliebling Meyer Burger kämpft ums Überleben. In den nächsten Monaten hängt alles davon ab, ob sich die krisengeschüttelte Solarindustrie erholt. Der Hersteller von Drahtsägemaschinen, mit denen Siliziumblöcke in hauchdünne Solarzellen aufgeteilt werden, schreibt tiefrote Zahlen und zehrt von der Substanz. Die Zahlen sprechen Bände: 2011 beschäftigte Meyer Burger weltweit 2800 Angestellte und setzte 1,3 Milliarden Franken um. Im ersten Halbjahr 2013 waren es noch 1800 Angestellte und 90 Millionen Franken. Zieht sich die Durststrecke weiter hin, geht Meyer Burger nächstes Jahr das Geld aus. CEO Peter Pauli gibt sich kämpferisch. Er glaubt, dass der Aufschwung rechtzeitig einsetzt.Leiden Sie unter Liebesentzug?Nein, warum?Kürzlich klagten Sie im kleinen Kreis: «Als es Meyer Burger gut ging, pilgerten alle zu uns. Seit es nicht mehr so gut geht ...»... schreiben die Journalisten nur noch seltsame Artikel, ja (lächelt). Das ist doch normal. So steil, wie es damals aufwärtsging, so rasch ging es in der Krise zurück. Davor hatten wir gewarnt.Sie wussten schon immer, dass es so schlimm wird?Natürlich nicht. Wir haben damit gerechnet, dass sich die Solarindustrie abkühlt und dass es eine Marktbereinigung geben würde. Aber wir haben unterschätzt, wie hart die strukturelle Krise wird.Ein schwarzer Schwan?Genau.Auch bei den Investoren fiel Meyer Burger in Ungnade.In der Boomphase konnte es nicht genug sein, uns wurde immer neues Geld angeboten. 2011 ist die Solarindustrie eingebrochen, viele Investoren haben sich die Finger verbrannt. Jetzt will kaum jemand richtig investieren. Gleichzeitig wissen wir, dass alle nur darauf warten, dass die Solarindustrie erste Zeichen einer Erholung sendet. Dann werden viele wieder zu Investments bereit sein.Kürzlich hat die skandinavische Norges Bank ihre Beteiligung an Meyer Burger leicht erhöht. Viele Investoren werteten es als eben dieses Signal.Norges ist als Vertreter des norwegischen Staatsfonds aus unserer Sicht ein langfristiger Investor. Meyer Burger ist für sie ein langfristig strategisches Finanzinvestment in alternativen Energien. Ihre Beteiligung liegt aktuell bei 5,16 Prozent.Sie selber befeuerten Spekulationen, dass es bald aufwärts geht. Anfang August vermeldeten Sie neue Bestellungen im Wert von 22 Millionen Franken und redeten von «ersten Anzeichen einer Erholung».Die Frage lautet: Ist das nur ein Strohfeuer oder kommt endlich der Aufschwung? Falls Letzteres zutrifft, stehen wir vor der Herausforderung, wann und wie schnell wir die heruntergefahrene Lieferkette wieder in Gang setzen. Es ist unglaublich, aber wir mussten kürzlich sogar einen kleineren Kundenauftrag ablehnen müssen.Werden Sie schnell genug sein, wenn die Nachfrage plötzlich im grossen Stil anzieht?Ich denke schon. Mit dieser Situation kämpfen auch andere Unternehmen in der Produktionskette. Hochpräzisionsteile bekommt man auch nicht über Nacht. Insofern wird die ganze Branche einen Moment brauchen, um in Fahrt zu kommen.Haben Sie viele Anfragen?In Bezug auf Kundenprojekte und Angebotsentwicklung haben wir alle Hände voll zu tun. Aber das sind noch keine erteilten Aufträge. Ob und wann aus den konkreten Anfragen bare Münze wird, wird sich zeigen.Woher kommen die Interessenten?Sehr aktiv sind potenzielle Kunden aus dem sogenannten Sonnengürtel, der auf erneuerbare Energien umsteigen will - also Nigeria, Algerien, Türkei, Oman, Saudiarabien und Katar. Anfragen kommen aber auch aus Asien, wo der Energiehunger gross ist.Ist Europa kein Thema für Sie? Hier wurde doch die Energiewende beschlossen.In Europa tobt ein politisch motivierter Kampf, zu wessen Gunsten und Lasten die Energiewende realisiert werden soll. Das Gerangel blockiert den Prozess, weshalb Europa bis auf weiteres für uns in den Hintergrund gerückt ist - wohlverstanden als Absatzmarkt. Europa bleibt wichtig, um neue Anwendungen und Technologien zu entwickeln und zu industrialisieren.Wenn Meyer Burgers Zukunft ausserhalb Europas liegt: Passt der Standort Thun noch?Absolut. Hier ist der Kern des Unternehmens, und hier bleibt er.Aus logistischen Gründen macht es doch mehr Sinn, Maschinen vor Ort, etwa in China, zu fertigen.Wir haben bereits damit begonnen, in China gewisse Produktionskapazitäten aufzubauen. Je nachdem, wie sich die Lage entwickelt, expandieren wir weiter.Aber nicht zulasten von Thun?Nein, das bleibt, wie es ist.Welche Strategie verfolgen denn die von Ihnen erwähnten Sonnengürtel-Staaten?Sie wollen einerseits ihre eigenen Herausforderungen in der Energieversorgung lösen und gleichzeitig eine eigene Solarindustrie aufbauen, zum Teil nach chinesischem Vorbild. Für uns als Zulieferer bietet das grosse Chancen.Besteht nicht die Gefahr, dass Meyer Burger seine langlebigen Produktionsmaschinen abliefert und danach lange nichts mehr verkaufen kann?Nein, denn die Solartechnologie wird sich weiterentwickeln. Heute liefern wir Drahtsägemaschinen, um Siliziumblöcke in hauchdünne Scheiben aufzutrennen, aus denen im weiteren Produktionsprozess Solarzellen gemacht werden. Irgendwann wird es vielleicht keine Sägen mehr brauchen, weil sich die Solarmodultechnologie verändert hat.Bereits heute gibt es eine andere Technologie: Silizium kann auch als dünne Schicht auf ein Trägermaterial aufgedampft werden. Will Meyer Burger in den Markt für solche Dünnfilm-Module einsteigen?Nein. Sie müssen weiterdenken, etwa an eine Kombination aus beiden Technologien. Wir haben bereits entsprechende Schritte in diese Richtung unternommen, um vom erwarteten Technologiewandel profitieren zu können.In der Forschung wird vieles ausprobiert. Die Frage ist, welche neue Technologie sich am Markt durchsetzen wird. Wie schaffen Sie es, aufs richtige Pferd zu setzen?Ich kann Ihnen heute nicht sagen, was passieren wird. Was ich weiss: Wir verfügen über diverse Anwendungstechnologien, die sich für viele verschiedene Einsatzgebiete eignen. Ich bin zuversichtlich, dass wir im entscheidenden Moment bei den Leuten sind.Von Ihrem Büro aus blicken Sie auf eine Baugrube, wo das Forschungszentrum geplant war. Die Senke wurde jetzt zum Parkplatz umfunktioniert. Ist das Zentrum vom Tisch?Nein. Es ist immer noch mein Ziel und Teil unserer Strategie.Im Mai mussten die Aktionäre 145 Mio. Franken einschiessen, um das Überleben von Meyer Burger zu sichern. Haben Sie eigentlich auch investiert?Sicher. Alles, was mir an liquiden Mitteln zur Verfügung stand, habe ich eingesetzt.Vor einigen Jahren hielten Sie über 6 Prozent der Aktien, jetzt noch unter 3 Prozent. Warum?Als der Börsenkurs Höchstwerte erreicht hatte, musste ich Vermögenssteuern begleichen, die höher ausfielen als mein gesamtes Einkommen. Deshalb musste ich Aktien abstossen, um meine Steuern überhaupt bezahlen zu können.Meyer Burger schreibt rote Zahlen. Wie lange kann die Firma noch von der Substanz leben?Die Firma ist mit der erfolgreichen Kapitalerhöhung und dem Eigenkapital für die kommenden Monate ausreichend finanziert.Ist eine weitere Kapitalerhöhung denkbar?Aus heutiger Sicht sehen wir keinen Bedarf für eine erneute Kapitalerhöhung. Längerfristig hängt alles davon ab, wie sich die Nachfrage entwickelt. Der Silberstreifen ist da.Drohen weitere Stellenstreichungen in der Schweiz?Wir achten weiter auf die Kosten und optimieren, wo wir können. Aber jetzt geht es darum, alle Energie auf den Markt und die Kunden zu konzentrieren, damit der Motor zum Laufen kommt.Ist Meyer Burger gross genug, um es selbst zu schaffen?Ja. Unser Ziel ist es auf jeden Fall, unabhängig zu bleiben.Sie sind seit 11 Jahren CEO. Wie lange bleiben Sie noch?Noch eine ganz Weile.Gibt es einen Nachfolger?Nein. Das Thema stellt sich aber auch nicht.