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Von Tim Schäfer Journalist
New York, Sonntag, 27. Januar 2013
Ein Freund in New York hat seine Eltern „bearbeitet“. Sie haben seit vielen Jahren hunderttausende Dollar auf dem Festgeldkonto liegen. Das Geld warf so gut wie keine Rendite ab. Nun haben die Eltern begonnen, Aktien zu kaufen. Es hat zwölf Monate gedauert, bis Mama und Papa reagiert haben (fast auf dem Allzeithoch des Dow-Jones-Indexes). Die erste Position ist eine Bank-Aktie, die im Portfolio gelandet ist. Der Zukauf erfolgte vor einem Monat. Ich fand das Telefonat des Freundes mit den Eltern interessant.
Die Mutter fragt den Sohn: „Wie hat sich der Kurs entwickelt?“ Der Sohn: „Es ging rauf. Der Kurs steht höher. Wir haben 6.600 Dollar verdient.“ Die Mutter daraufhin: „Wow, das ist super.“
Ich fand das Gespräch erhellend. Eine Kursbewegung innerhalb von vier Wochen ist dem Zufall geschuldet. Wer nach vier Wochen im Plus steht, das mag zwar schön sein, hat aber wenig Aussagekraft.
Der Broker schickt der Familie, seitdem sie nun Aktien erwerben, ständig Online-Schulungs-Angebote zum „richtigen Trading“. Vor solchen Seminaren möchte ich Sie warnen. Ich bin der Meinung am besten verdienen Sie Geld an der Börse mit einer langfristigen Strategie. Wer tradet, der kann gleich ins Spielkasino gehen. Dort gewinnt immer einer: Der Croupier beziehungsweise die Bank. Warren Buffett hat über die Zockerei einen schönen Aufsatz im Jahr 1984 geschrieben - voller Ironie. Der Titel: "The Superinvestors of Graham-and-Doddsville". Buffett beschreibt darin, wie die Amerikaner anfangen, jeden Morgen eine Münze zu werfen ...
Zu glauben, die vier Wochen seien toll gelaufen mit der Bank-Aktie, ist eine gefährliche Denke. Es ist die normale Volatilität. Aktien bewegen sich nun einmal täglich im Kurs.
Wenn der Kurs stattdessen runter gegangen wäre, die Position bei minus 6.600 Dollar stehen würde, hätte die Angst zugenommen. Die Familie hätte mehr „Risiko“ empfunden, wäre nervös geworden, hätte womöglich die Position verkauft.
Die täglichen, wöchentlichen, monatlichen Kursbewegungen sollten Sie nicht als Erfolg, Misserfolg, Risiko oder sonst etwas empfinden. Nur die langfristige Entwicklung ist doch interessant, wenn Sie Ihr Geld für die Rente langfristig anlegen.
Sie sollten sich mindestens ein Jahrzehnt Zeit nehmen. Denken Sie immer an das „verlorene Jahrzehnt“, das wir wegen der Finanzkrise ertragen mussten. Der von mir sehr geschätzte Blackrock-Chef Larry Fink hat in einem Gastbeitrag für das „Wall Street Journal“ voriges Jahr klar gemacht, wie wichtig es ist, langfristig an der Börse zu agieren. Sein Beispiel: Wer 22 Jahre alt ist und anfängt, 4.000 Dollar per annum zu sparen mit einem Zinssatz von acht Prozent, hat im Alter von 62 Jahren ein Millionenvermögen angehäuft.
Daran sehen Sie, dass die Zeit die Wunden heilt. Es hängt mit der wundersamen Kraft des Zinseszinses zusammen. Wer dagegen im Alter von 32 Jahren startet, für das Rentenalter zu sparen, muss mehr als das Doppelte jedes Jahr zurücklegen, um auf eine Million Dollar zu kommen.
Larry Fink ist ein guter Ratgeber. In Interviews hebt der CEO des weltgrößten Vermögensverwalters hervor, wie wichtig es ist, auf großartige Unternehmen zu setzen und langfristig zu sparen. All das hektische Hin und Her zerstört meiner Meinung nach erhebliche Vermögen.
Die Menschen denken leider an der Börse viel zu kurzfristig. Das ist komisch. Wir kaufen Immobilien, Lebensversicherungen, Kunst, Grundstücke und andere Assets für Jahrzehnte, aber Aktien mögen wir nur für Wochen oder allenfalls Monate besitzen. Wir starren tagtäglich auf die Kurse – obwohl das keinerlei Aussagekraft hat. Wir können an den Kursschwankungen nicht erkennen, ob unsere Aktie gut oder schlecht ist. Es ist nur eine Momentaufnahme.
Anders herum gefragt: Wer lässt den Wert seines Eigenheims jede Woche von einem Makler neu schätzen? Wohl kaum jemand. Weil es nichts bringt.
Lernen Sie, langfristig an der Börse zu agieren, zu denken, zu handeln. Lernen Sie, Kursschwankungen zu ertragen. Im schlimmsten Fall kann die Börse um 20 oder 50 Prozent einbrechen. Das sollten Sie als Anleger emotional wegstecken können.
Wer nicht die Nerven hat, einen Crash auszusitzen, der sollte sein Geld besser auf dem Sparbuch lassen. Relativ schnell erholt sich die Börse wieder. Selbst nach der Weltwirtschaftskrise 2008/09 folgte die Erholung recht zügig. Ich hätte nie gedacht, dass so schnell die Kurse derart dynamisch anziehen. Es ist erstaunlich. Die Selbstheilungskräfte der Märkte funktionieren im Zusammenspiel mit einer einsichtigen politischen Führung (niedrige Leitzinsen, Steuererleichterungen, Stützungsmaßnahmen).
Gerade Privatanleger empfinden die Abstürze als Gefahr für deren Geld. Deshalb bleiben die meisten Bürger der Börse fern. Hinzu kommen all die Skandale an der Wall Street, die viele abschrecken. Weil Sparbücher, Festgelder und Staatsanleihen weniger Risiken aufweisen, vertrauen sie ihr Geld diesen Anlageformen an. Dabei werfen diese Alternativen nach Abzug der Inflation nur lausige Renditen ab (wenn überhaupt).
Statt auf die Kursbewegungen zu achten, sollten Sie Ihre ganze Aufmerksamkeit auf die Qualität der Aktie (richtige Auswahl) ausrichten. Blenden Sie die Kursbewegungen aus. Wer starke Unternehmen kauft, sollte langfristig gut abschneiden.
Die ganze Risikoscheu führt dazu, dass Anleger auf Rendite verzichten. Im Grunde ist das eine Tragödie. Mit niedrig verzinsten Sparbüchern oder Lebensversicherungen kann kaum jemand ein vernünftiges Polster für die Rente aufbauen.
Fazit: Lassen Sie sich nicht von dem Auf und Ab an der Börse verrückt machen. Blenden Sie den täglichen Kurswahnsinn aus. Agieren Sie langfristig. Selbst exzellente Aktien schwanken im Kurs.
Tim Schäfer
PS: Könnte von mir sein, ist es aber nicht!