Liest man die Wirtschaftsmedien unterzieht sich ein unerfahrener Anleger einem Wechselbad der Gefühle, eine Kneipp Kur fürs Gehirn.
Aus Deinen Worten spricht viel Unsicherheit. Eine Unsicherheit, die die meisten von uns teilen. Zumindest jene, die sich eingehender mit der Materie beschäftigen.
Ach, wie einfach war es doch früher, als die Welt noch nicht so vernetzt, so globalisiert war! Man hat sich angeschaut, was ein Unternehmen so produziert, was es dafür bezahlt, wie viel es erlöst und was es für Gewinn macht. Man hat geschaut, was die Konkurrenz macht, hat verglichen und versucht, über die erwartete Marktnachfrage den zukünftigen Umsatz und Gewinn abzuschätzen.
Auch nicht einfach aber irgendwie doch noch überblickbar.
Heute wird das Ganze ungleich komplizierter. Wir müssen Wechselkursrisiken berücksichtigen. Wir müssen die Geldpolitik zumindest jener Länder betrachten aus denen das betrachtete Unternehmen Waren importiert oder in die es exportiert. Wir müssten demnach auch wissen, ob und in welcher Form sich das Unternehmen gegen unverschuldete Einflüsse aus dem Ausland absichert.
Das wohl extremste Lehrbeispiel der letzten Jahre war der Fall von Lehman Brothers: Hätte uns einer im Jahr 2007 erzählt, dass Lehman Pleite gehen würde und dies fast die UBS mit ins Grab reiten würde, hätten wir ihn als Verschwörungsspinner belächelt. Nicht wegen der Aussage, Lehman könne Pleite gehen, das hätte man ihm ja noch geglaubt. Aber was zum Teufel hat das mit der UBS zu tun?
Wir hatten hier ein klassisches Beispiel der Chaostheorie, weil hier ein Schmetterling am anderen Ende der Welt bei uns einen Sturm ausgelöst hat. Wir erkennen die Märkte seither als das was sie mittlerweile sind: Ein Chaos, das wir nicht beherrschen, nicht abschätzen können.
Unsere Reaktion darauf reicht vom sich-abschotten und auf ein kleines, bekanntes Gebiet und bewusstes Ausblenden aller Unsicherheitsfaktoren bis hin zum unmöglichen Versuch, das Chaos verstehen, vorauszusagen und abschätzen zu wollen.
Letzteres ist natürlich ungleich interessanter, spannender und einer Forumsdiskussion zuträglicher
Wollen wir das Chaos verstehen, kommen wir an zwei Themenkreisen nicht vorbei:
Wirtschaft und
Geldpolitik.
Wirtschaft liegt auf der Hand, denn ein Unternehmen muss seine Produkte verkaufen können, was bedeutet, dass es auch Käufer gibt, die das Produkt kaufen wollen und kaufen können.
Geldpolitik deshalb, weil es nicht nur um den Preis geht sondern auch um den Wert. Also um die Kaufkraft. Wer heute eine Million Franken besitzt, kann sich reich nennen. Kostet aber ein Liter Benzin eine Million, ist der Reichtum auf einmal weg. Das ist - zugegeben - ein extremes Beispiel aber an extremen Beispielen kann man nach meiner Erfahrung am besten Richtungen erklären:
Wir stellen uns die Frage: Wie viele Franken kostet meine Nestlé Aktie derzeit, wie viele Franken Dividende bekomme ich pro Jahr und wie viele Franken wird Nestlé in 5 Jahren kosten.
Wir stellen uns aber
nicht die Frage: Wie viele Brote kann ich mir heute für eine Nestlé Aktie kaufen und wie viele Brote werde ich mir in 5 Jahren für eine Nestlé Aktie kaufen können.
Wir haben in den letzten 30 Jahren gelernt, dass das Geld - genauer, die Währung - eine stabile Grösse ist, in der man den Wert eines Gutes (nicht nur den Preis, auch den Wert!) sehr gut bemessen kann. Die 50+ jährigen werden sich vielleicht noch daran erinnern, dass das nicht immer so war. In den 1970er Jahren hatten wir Teuerung im niedrigen zweistelligen Bereich und so weit ich das Ende der 70er als Teenager mitgekriegt habe, waren sich die gebildeten Erwachsenen durchaus der Tatsache bewusst, dass das Geld laufend an Wert, an Kaufkraft, verliert.
Wer hingegen erst ab 1982 bewusst "Geld" erlebt hat (also Jahrgang 1970 und später) hat diese Lebenserfahrung nicht und hat deshalb auch Mühe, gedanklich in Frage zu stellen, dass Geld eben keine Konstante sondern eine Variable ist.
Wie erwähnt gibt es zwei Themenkreise: Wirtschaft und Geld. Nach meiner Erfahrung aus mittlerweile 15 Jahren in 7 Börsenforen haben die Leser den Themenkreis Wirtschaft sehr gut im Griff. Hier ist auch alles wunderbar dokumentiert, mit Zahlen belegbar und für den interessierten Aktienanleger nachvollziehbar. Der Themenkreis Geld hingegen wird meiner Meinung nach vernachlässigt. Ich konzentriere mich schwerpunktmässig nicht deshalb auf Geld, weil es wichtiger ist als Wirtschaft sondern, weil ich bei diesem Themenkreis mangelndes Interesse zu erkennen glaube.
Aus Sicht des Langfrist-Aktienanlegers ist es deshalb wichtig, beide Themenkreise einzubeziehen, wobei es hier folgende Szenarien gibt:
* Die Wirtschaft kann steigen oder sinken. Im Moment ist sie am sinken. USA, Europa sind bereits in einer Rezession und zumindest Europa ist am Sparen. Hier wird also die Nachfrage nach Konsum- und Investitionsgütern nachlassen. Die Märkte, die wir bisher bedienen konnten, wenn unser eigener Wirtschaftsraum in Rezession war (namentlich die BRIC-Staaten) sind mittlerweile autark und produzieren für sich selbst. Von dieser Seite ist also keine Entlastung zu erwarten.
==> Aktien dürften in Preis und Wert also eher sinken als steigen.
* Geld kann seinen Wert erhöhen, verlieren oder konstant bleiben. In den letzten 30 Jahren blieb es im Wert recht konstant. Dies ungeachtet der enormen Geldvermehrung der letzten paar Jahre.
Kann Geld im Wert steigen? Kaum, denn bei steigender Geldmenge im Vergleich zu einer konstanten Gütermenge gibt es wenig Grund anzunehmen, dass Geld wertvoller werden wird. Das Deflationsszenario ist meiner Meinung nach also eher unwahrscheinlich, obschon es die durchaus ernst zu nehmende Begründung gibt, dass das Geld "am falschen Ort" ist, gehortet wird in Banken und bei Reichen und niemals Sachwerte nachfragen wird.
Kann Geld im Wert fallen? Ja, kann es. Schon alleine aus dem Grund als die weltweite Geldmenge mittlerweile ausreicht, um sämtliche Sachwerte dieses Planeten etwa 14 mal aufzukaufen. Da dies nicht möglich ist - man kann nicht mehr Sachwerte kaufen als vorhanden sind - muss der Ausgleich über den Preis erfolgen. Sprich: Sobald das Geld Sachwerte nachfragt, werden die Preise von Sachwerten so weit steigen, dass in der Summe die Preise der Sachwerte wieder der Geldmenge entsprechen. Das wird dann recht unlustig für jene, die nicht über Sachwerte verfügen und hässlich für jene, die weder über Sachwerte noch über Geld verfügen.
Das macht die Situation, in der wir uns befinden auch so pervers: Wir haben enorm gestiegene Schulden. Jeder Schuld steht aber ein Guthaben in exakt gleicher Höhe gegenüber. Das heisst, dass es irgend jemanden gibt, der die Staatsschulden der USA, Griechenlands, Italiens, Spaniens ... als Guthaben in den Büchern hat. Was also passiert wohl, wenn dieser Jemand beschliesst, seine Schulden einzufordern und Schuldtitel in Sachwerte umzuwandeln? Theoretisch könnten jene 3% der Superreichen und die asiatischen Staatsfonds sämtliche Häuser, Fabriken, Agrarflächen, Brote und Gummibärchen dieses Planeten locker aufkaufen. Und dann?
Für den Aktien-Anleger gilt es nun, beides zu kombinieren:
Wenn es mir gelungen ist, euch die Frage in die Köpfe zu hämmern, was ihr euch für eure Aktien in Zukunft kaufen könnt (und nicht, wie viele Währungseinheiten ihr dafür bekommt), dann lautet die nächste Frage, wie sich die Aktien im Vergleich zu Brot, Benzin, Miete und Gummibärchen in den nächsten Jahren verhalten werden. Denn in erster Linie muss es ja darum gehen, sein Vermögen zu
bewahren. Erst in zweiter Linie, es zu
vermehren. Letzteres ist in der aktuellen Niedrig-Zins Zeit ja ohnehin schwierig, sofern man nicht untragbare Risiken eingehen will.
Was ist für den Aktien-Anleger wichtig zu wissen?
Einerseits schwebt über uns das Damoklesschwert der Rezession, die zwar Fakt ist, aber dank der weltweiten Geldflut noch nicht eingepreist ist. Hier ist also mit einer massiven Korrektur zu rechnen, wenn diese Fakten eingepreist werden. Und wenn ich "massiv" schreibe, dann meine ich 50% plusminus 20%.
Andererseits haben wir die weitaus grössere Gefahr, dass unser Papiergeld massiv an Wert (Kaufkraft) verliert, wenn sich die Schleusen öffnen und das ganze überschüssige Papiergeld dieser Welt Sachwerte nachfragt. In diesem Fall werden Aktien im Preis steigen, aber an Wert verlieren.
"Im Preis steigen" deshalb, weil sie weniger schnell fallen als das Papiergeld, weil Aktien ja zu einem gewissen Grad einen Sachwert darstellen.
"An Wert verlieren" deshalb, weil in der einsetzenden Lohn-Preis-Spirale die Löhne immer den Preisen hinterherhinken. Und das sorgt dafür, dass die reale Kaufkraft der Konsumenten abnimmt.
Wer also Aktien hat, wird real Vermögen verlieren. Aber er wird insofern der "Einäugige unter den Blinden" sein, als er weitaus weniger verliert als jener, der Cash, Bankkonto, Festgeld, Obligationen sein Eigen nennt.
Und zum Schluss erwähnt gibt es noch den Gold-Besitzer. Der wird in diesem Szenario überhaupt kein Vermögen verlieren. Allerdings wird er im Gegensatz zum Aktionär auch keinerlei Rendite erwirtschaften, bis das Szenario eintritt.
Fazit:
Es gilt, den richtigen Mix zu finden aus Gold und Aktien. Aus Vermögenserhalt und Rendite.