[SIZE= px]Abschied vom Mythos Gold[/SIZE]
Viele Gold-Besitzer wollen ihre Bestände inzwischen loswerden. Doch ist jetzt der richtige Zeitpunkt, zu verkaufen? Um dies zu beurteilen, muss man die Ursachen der Crashs in den Monaten April und Juni etwas genauer beleuchten.
Wenn türkische Frauen heiraten, schenken Verwandte und Freunde Gold. Traditionell sollen die Armreifen und Halsketten, mit denen die Braut geschmückt wird, ihr materielle Sicherheit in künftigen Notsituationen bieten. Denn Gold ist beständig. Heute jedoch werden die goldenen Geschenke oft schnell zu Geld gemacht. „Eine Freundin hat mit dem Goldschmuck einen Kredit für ihre Wohnung abbezahlt“, berichtet die Heidelberger Übersetzerin Ayla Abdülkadir. Eine andere ärgere sich gerade darüber, dass sie ihre Geschenke nicht gleich nach dem Fest gegen Bares getauscht hat. Denn inzwischen ist der Goldpreis kräftig gefallen.
Die türkische Tradition und der moderne Umgang mit der goldenen Notreserve demonstrieren die paradoxe Beziehung, die auch viele deutsche Anleger mit dem Edelmetall verbindet: Einerseits glauben sie an Gold als sichere Geldanlage und investieren einen Teil ihres Vermögens in Barren, Münzen und Anteile an Gold-Fonds. Umso mehr, je anschaulicher Finanzexperten Szenarien einer drohenden Hyper-Inflation heraufbeschwören. Andererseits geben die Privatanleger ihre Fonds-Anteile zurück, tragen Barren und Münzen flugs zum nächsten Goldankäufer, kaum dass der Börsenkurs ins Rutschen kommt.
„Gold ist börsennotiert, und damit schwankt der Preis“, sagt Fabio Capitano, Mitarbeiter des Leihhauses „Goldankauf Wiesbaden“. In dieser Hinsicht unterscheidet sich das Edelmetall nicht von Aktien. Welche Reaktionen Kursschwankungen auslösen können, hat Capitano gerade erst erlebt. „Als der Goldpreis im April und im Juni einbrach, hatten wir viele Kunden, die verängstigt fragten, ob sie sofort verkaufen sollten“, berichtet er. Viele Gold-Besitzer wollten ihre Bestände inzwischen loswerden, ist von Ankäufern zu hören.
Doch ist jetzt der richtige Zeitpunkt, zu verkaufen? Um dies zu beurteilen, lohnt es sich, die Ursachen der Crashs in den Monaten April und Juni etwas genauer zu beleuchten. „Es gibt schon seit einigen Jahren große passiv gemanagte, börsengehandelte Gold-Fonds“, erklärt der Düsseldorfer Börsen-Experte Peter Martin. Diese Exchange Traded Funds, kurz ETF, decken sich mit Gold im Wert der ausgereichten Fondsanteile ein. Geben Inhaber von Fondsanteilen diese zurück, werfen die Fonds sofort so viel Gold auf den Markt, wie die Anteile wert sind. „Das kann plötzlich kommen und sehr schnell gehen“, sagt Martin. Genau das ist im April am wichtigsten Handelsplatz für Gold, der New Yorker Future-Börse Comex, passiert. Die Folge: Der Goldkurs rutschte in wenigen Tagen von fast 1600 Dollar je Feinunze auf unter 1350 Dollar ab. Einen stichhaltigen Grund für diesen Absturz konnten Kapitalmarktexperten nicht ausmachen. Der Goldkurs erholte sich bald und lag zehn Tage später wieder über 1450 Dollar.
Normale Korrektur
„Auch der zweite Kursrutsch am 21. Juni war durch spekulative Schwankungen verursacht“, sagt Martin. An diesem Tag sackte der Goldpreis um etwa fünf Prozent auf 1271 Dollar ab und büßte seit seinem Höchststand vom August 2011 satte 33 Prozent ein. „Wenn man bedenkt, dass der Kurs zwischen Anfang 2001 und August 2011 gut 656 Prozent zugelegt hat, ist das allerdings eine ganz normale Korrektur“, erklärt Martin.
Seit dem jüngsten Einbruch hat Gold das April-Niveau von 1350 Dollar bislang nicht mehr erreicht und ist von seinem Höchststand 1900 Dollar weit entfernt. Am Freitag sackte der Goldpreis nach überraschend guten US-Konjunkturdaten wieder unter die Marke von 1300 Dollar für eine Feinunze (31 Gramm).
Das zeigt: Die Fonds investieren nicht mehr in Gold. Die Schmuckindustrie, größter Goldkäufer am Markt, ist derzeit ebenso gut versorgt wie die wenigen Industriezweige, die Gold benötigen. Gründe für eine Trend-Umkehr sehen Börsen-Experten daher momentan nicht. „Zudem merken Privatanleger langsam, dass sich ihre Inflationsängste nicht bestätigen“, sagt Martin. So verkaufen sie ihr Gold, um sich nach renditeträchtigeren Anlagen umzusehen. Damit führen sie herbei, was sie befürchten: einen weiteren Kursrutsch.
Gold ist beständig. Als Ehering, der an den Wert einer dauerhaften Liebe erinnert. Aber nicht als Geldanlage. Von diesem Mythos sollten sich Anleger schnellstens verabschieden – in der Türkei und in Deutschland