Grossbanken als Metallhändler
Amerikanische Finanzinstitute engagieren sich in heiklen Nebengeschäften und treiben die Rohstoffpreise [SIZE= px]in die Höhe[/SIZE]. Die US-Notenbank will dem riskanten Treiben ein Ende bereiten.
Sherrod Brown ist wütend auf die US-Finanzmarktaufsicht, die Notenbank Federal Reserve (Fed). «Soll die Öffentlichkeit sich generell damit zufriedengeben, selbst so lange im Nebel zu stochern, bis sie dahinterkommt?», empörte sich der US-Senator diese Woche in einer Anhörung des Bankenausschusses, der sich mit den bankfremden Nebengeschäften von US-Geldhäusern befasste. Eigentlich sind solche gar nicht erlaubt, aber das Fed hat den Banken in Einzelfällen Ausnahmen gewährt. Warum?, fragen sich dieser Tage viele in Washington. Brown ist entrüstet: «Das ist ein bedeutendes potenzielles Risiko für die Wirtschaft.»
In den USA herrscht eigentlich eine jahrzehntelange Tradition vor, Finanzgeschäfte streng von kommerziellen zu trennen. Vor zehn Jahren jedoch wurde die strikte Abgrenzung durch die Ausnahmeregelung des Fed aufgeweicht. Heute engagieren sich einige US-Grossbanken in diversen industriellen Geschäften: Goldman Sachs besitzt zahlreiche Aluminium-Lagerhäuser in Detroit und ein Kohlebergwerk in Kolumbien. Auch an Häfen, Flughäfen und zollpflichtigen Strassen ist die Investmentbank beteiligt. Rivalin Morgan Stanley dagegen betreibt Elektrizitätswerke und verschifft verflüssigtes Erdgas nach Argentinien. Kritiker monieren, dass diese Nebengeschäfte auf fremden Märkten ein zusätzliches Risiko für die Banken bedeuten - und Preismanipulation ermöglichen.
«Der Senat war geschockt, als er begriff, wie weit diese bankfremden Geschäfte gehen», meint Bankenanalyst Richard Bove von Rafferty Capital Markets. Zwei Tage vor der Anhörung erschien ein aufsehenerregender Artikel in der «New York Times», der Goldman Sachs' Geschäfte mit der Lagerung von Aluminium ausleuchtete: 2010 übernahm die Bank den Lagerhausbetreiber Metro International Trade Service. In den 27 Lagerhallen in und um Detroit haben sich mittlerweile 1,5 Mio. t Aluminium aufgestaut - mehr als ein Viertel des auf dem Markt handelbaren Vorrats. Es wird deutlich mehr an- als ausgeliefert.
Der Vorwurf: Um Regeln zu umgehen, wird das Aluminium von einem Lagerhaus zum nächsten gebracht. Aber eben nur selten zu den Verbrauchern, den Herstellern von Getränkedosen etwa. Dadurch hat sich die Lieferzeit mehr als verzwanzigfacht, auf rund eineinhalb Jahre. Heutige Bestellungen werden also erst Anfang 2015 ausgeliefert. Die Banken kassieren dafür mehr Miete. «Damit machen sie mehr Gewinn als an der Rohstoffbörse», meint Bove.
Diese künstliche Verknappung hat die Preise in die Höhe getrieben, besonders für die regionalen Lieferzuschläge, die ein neues Rekordhoch erreicht haben. Die Kosten für die Abnehmer sind dadurch im letzten Jahr weltweit um 3 Mrd. $ in die Höhe geschossen, wie der Bierbrauer Miller Coors in der Senatsanhörung angab.
Goldman Sachs stritt die Vorwürfe umgehend und deutlich ab. Die Bank gibt vor, sich mit den Lagerbeständen von Rohstoffen gegen Schwankungen auf dem Markt abzusichern. Das war auch das Argument, mit dem die Banken 2003 die US-Notenbank überzeugt haben: Sie brauchten schliesslich ausreichend Liquidität. «Das Fed hat ihnen das Argument damals abgekauft. Ein schrecklicher Fehler», meint Bove. Seiner Meinung nach habe die Notenbank damit gegen geltende Gesetze verstossen. «Banken haben kein Recht, in diesen Märkten zu sein.» Denn gegenüber den herkömmlichen industriellen Unternehmen haben Geldhäuser wettbewerbsverzerrende Vorteile: Sie haben von Natur aus mehr Kapital zur Verfügung und können nicht zuletzt auf besondere Unterstützung des Staats setzen, weil sie als systemrelevant eingestuft werden. «Wenn man Banken erlaubt, im kommerziellen Markt aktiv zu sein, dann wird sich ziemlich bald ein Sicherheitsnetz um all die kommerziellen Sektoren spannen, in denen Banken engagiert sind», sagte Arthur Wilmarth, ein auf Finanzmarktaufsicht spezialisierter Rechtsprofessor der George Washington University in der US-Hauptstadt, gegenüber dem US-Wirtschaftsmagazin «Businessweek».
So steigt der Druck auf die US-Notenbank - vonseiten der Politik und der Öffentlichkeit. Sie hatte vergangene Woche selbst angekündigt, die Sache zu überprüfen. Mittlerweile soll auch die US-Derivatebörsen-Aufsicht Commodity Futures Trading Commission (CFTC) Ermittlungen eingeleitet haben. Experten rechnen damit, dass das Fed im Herbst ein Verbot dieser bankfremden Geschäfte aussprechen wird. Dann läuft die mehrfach verlängerte Schonfrist für Goldman Sachs und Morgan Stanley aus, die im Zuge der Krise unter den Schutzschirm der Notenbank geflohen waren.
Das dürfte den Rohstoffabteilungen der Banken gewaltige Probleme bereiten: Die zehn grössten US-Banken nahmen 2012 rund 6 Mrd. $ mit ihren Rohstoffgeschäften ein, davon 1 Mrd. durch den Handel mit den eigentlichen physischen Materialien. Eine Bank hat am Freitag nun auf den Druck reagiert: JP Morgan Chase hat angekündigt, sich aus dem Geschäft mit physischen Rohstoffen zurückziehen zu wollen. Trennen will sich JP Morgan unter anderem vom Metalllagergeschäft sowie von Öl- und Gashändlern.
Quelle: NZZ am Sonntag, Von Kim Bode, New York