http://www.nzz.ch/aktuell/schweiz/die-n ... 1.18245072
Die neue Herzlichkeit
Hannes Grassegger und Paula Scheidt
Seit der Annahme der Masseneinwanderungsinitiative begegnet man als Deutscher in der Schweiz so viel Wohlwollen und Liebenswürdigkeit wie nie zuvor.
Es waren Momente der besorgten Zurückhaltung für mich als Deutscher in einem Schweizer Tram, wenn das Telefon klingelte. Besonders in der Zeit vor der Abstimmung. Drangehen ja oder nein? Ein unauffälliger Blick in die Runde. Ich wollte die Meinung des Souveräns nicht zu meinen Ungunsten beeinflussen. Es mag reine Einbildung gewesen sein, aber manchmal hatte ich das Gefühl, strenge Blicke zu erhaschen und Münder schmallippiger werden zu sehen, wenn ich in dem sonst ruhigen Tram begann, hochdeutsch zu sprechen.
Am Sonntag dann der Knall. 50,3 Prozent! Verwandte meldeten sich aus Deutschland. Besorgte Fragen nach meiner Zukunft. Musst du jetzt raus? Gibt es Übergriffe auf der Strasse? Wird die Schweiz zum Nordkorea Europas? Bedrückt verfolgte ich am Fernsehen, wie die Unterstützer der Masseneinwanderungsinitiative ihren Erfolg feierten. Mein Verdacht schien sich zu bestätigen: Du bist nicht willkommen in diesem Land. Denn über keine Ausländergruppe wurde in den letzten Jahren emotionaler diskutiert als über uns Deutsche.
Als das Telefon ein paar Tage nach der Abstimmung wieder einmal im Zug klingelte, es war auf der Strecke Bern–Zürich, nahm ich angespannt ab. Vorsichtig wanderte mein Blick von einem Gesicht zum anderen. Wie würde sich das Abstimmungsergebnis wohl auswirken? Würde ich Triumph sehen? Ein unausgesprochenes «Da haben wir es euch gezeigt»? Unwillkürlich zog ich die Schultern ein. Ich rechnete mit dem Schlimmsten.
Völlig unbegründet. Ich sah nichts von alledem. Beim ersten Lächeln der anderen Fahrgäste glaubte ich noch an einen Zufall. Beim zweiten nicht mehr. Ich hatte im vollen Zug auf Hochdeutsch gefragt, ob der Platz noch frei sei. Da ging ein Rücken durch die Runde: Aber selbstverständlich! Später verwickelte ein Sitznachbar mich in ein nettes Gespräch über einen Sketch des Komikers Emil. Wieder klingelte das Telefon, ein Zürcher Freund fragte: Hey, du suchst doch nach einer Wohnung. Ich hab was für dich. Mein Herz schlug höher. Eine Aufforderung, zu bleiben, direkt nach dem Stopp der Masseneinwanderung. So geht das seither. Im Restaurant: ein besonders herzliches Lächeln. Das Gespräch mit dem Vermieter: so freundlich wie noch nie. Beim Einkaufen: die allerbesten Wünsche für einen schönen Tag! Nicht, dass ich mich in der Schweiz vorher unwohl gefühlt hätte. Aber das sind neue Dimensionen. Dieses Gefühl. Als mache man anderen eine Freude, einfach, indem man da ist.
Mittlerweile hebe ich mein Telefon im Tram voller Freude ab. Da ist was in der Luft. Eine neue Herzlichkeit. Ein Frühling in den bilateralen Beziehungen des Alltags. Nachträglich zum Valentinstag daher von uns ein Schoggiherzli für die SVP.