Nicht raffiniert genug
Der Erdölverarbeiter Petroplus ist mit seiner Strategie der Zukäufe auf Pump gescheitert
In der Raffinerie Cressier ruht ab kommender Woche die Produktion. Eine dauerhafte Schliessung ist aber abwendbar.
Franziska Pfister
In der Psychoanalyse heisst der Vorgang Verdrängung. Immer neue Durchhalteparolen gab die Führung von Petroplus aus. Und sie verfingen. Auch noch als der vierte Jahresverlust in Folge unaufhaltsam näher rückte und der Schuldenberg längst schwindelerregend hoch war. Dann ging alles ganz schnell. Im August brach der Aktienkurs 40% ein. Ende Jahr drehten die Banken den Kredithahn zu. Jetzt sucht der Raffineriebetreiber neue Geldgeber. Weil Geld für Rohöl fehlt, werden drei von fünf Raffinerien stillgelegt. «Leider [können wir] voraussichtlich nicht allen Verpflichtungen für Januar und Februar nachkommen», warnt Petroplus diese Woche die Schweizer Kunden in einem Brief, der der «NZZ am Sonntag» vorliegt.
«Das Geschäftsmodell, Raffinerien zu kaufen, zu bündeln und an Dritte weiterzuverkaufen, ging nicht auf», sagt Andreas Escher, Analyst von Vontobel. Die Bank stellte das Research zu Petroplus kürzlich ein. Das Grundproblem des Unternehmens ist simpel und unlösbar zugleich: In Europa gibt es mehr Raffinerien als Nachfrage nach deren Öl. 15 Anlagen stehen gemäss Angaben von Petroplus zur Disposition und wurden schon verkauft. Der Markt ist gesättigt, der Verbrauch geht gar leicht zurück, weil neue Fahrzeuge weniger Treibstoff benötigen. Die jüngste Rezession pflügte die Branche um. Viele europäische Raffinerien seien veraltet, auch jene von Petroplus, sagt Escher. In Asien entstanden neue Anlagen, die weit grösser und moderner sind - und nach westlichen Umweltstandards produzieren.
Zahlreiche Fallstricke
Beim Börsengang vor sechs Jahren hatte Petroplus ein weit verlockenderes Bild gezeichnet. «Die Raffinerien in Europa sind voll ausgelastet. Es bestehen Kapazitätsengpässe, die Nachfrage steigt», heisst es im Emissionsprospekt. Die Gewinnmargen lagen damals auf Rekordniveau. Seither verengten sie sich kontinuierlich. Eine Raffinerie verdient am Preisaufschlag von raffinierten Erzeugnissen zu Rohöl. Den Rohstoff muss sie günstig einkaufen, um die Produktionskosten zu decken. Je höher der Ölpreis, desto schwieriger wird das. Das Geschäft ist konjunkturanfällig, kapitalintensiv und abhängig von der Verfügbarkeit von Öl.
Trotz diesen Fallstricken ist das Interesse an der Gesellschaft hoch, sagt ZKB-Analyst Martin Schreiber. Auch wenn sie die Erwartungen der Anleger häufiger verfehlt als übertroffen habe. Angelockt hätten viele Anleger wohl die hohen Kursschwankungen. Und dann gab es noch die Hoffnung auf einen Coup: dass Petroplus alle Anlagen auf einen Schlag zu einem guten Preis abstossen kann. Dafür machten die Investoren anderswo Abstriche. Das Unternehmen gilt als wenig transparent. Eine Anfrage der «NZZ am Sonntag» beantwortete Petroplus diese Woche nicht. Hartnäckig hält sich unter Analysten auch das Gerücht, die Gruppe betreibe eine Abteilung, die mit Rohöl handle und mit diesen Erträgen das Ergebnis aufzupolieren suche. Kommentiert hat Petroplus das nie.
Die Kapitalkosten zu erwirtschaften, habe nie im Vordergrund gestanden, moniert Gregor Greber, Chef des Vermögensverwalters Z-Capital. Die teure Akquisitionsstrategie habe zu Aufwertungen der Anlagen in den Büchern geführt. Durch den vermeintlich hohen Buchwert in der Bilanz habe der Aktienkurs günstig gewirkt, obwohl die Bilanz hoch verschuldet gewesen sei. Auch das auf Optionen basierende Vergütungssystem kritisiert er. Dadurch seien die Kaderlöhne kurzfristig und spekulativ ausgerichtet. Das frühere Management habe sich durch goldene Fallschirme abgesichert. Und die Verwaltungsräte würden so viel verdienen wie in anderen vergleichbar grossen Gesellschaften der VR-Präsident. Der vormalige Chef und Präsident Thomas O'Malley führte Petroplus nicht nur lange im Doppelmandat, sondern war gleichzeitig Teilhaber eines Partnerunternehmens, das ihn ebenfalls entschädigte - ein Interessenkonflikt.
Petroplus erfüllte die Kreditauflagen seit längerem nicht. Die Geldgeber tolerierten das. Noch Anfang Dezember liess die Petroplus-Spitze am Investorentag verlauten, die Kredite seien bis März gesichert. Haben die Banken das Unternehmen wirklich nicht gewarnt, bevor sie zu einer Massnahme griffen, die das Überleben von Petroplus gefährdet? Bemerkenswert auch: Trotz der angespannten Finanzlage kündigte die Führung weitere Akquisitionen an. Der Plan sah vor, sobald eine Bereinigung im Sektor einsetzt, günstig an Raffinerien zu kommen. «Obwohl die Zeiten schwer sind, glauben wir an unser Geschäftsmodell», sagte Chef Jean-Paul Vettier. Nicht einmal Pessimisten hätten erwartet, dass sich die Margen derart verengen würden. «Keiner sah die Libyen- und die Syrien-Krise kommen, keiner die deutliche Abkühlung der europäischen Wirtschaft und keiner die Heftigkeit der Schuldenkrise.»
260 Stellen in Gefahr
Wie geht es weiter? Petroplus gelang Mitte Woche eine vorübergehende Übereinkunft mit den Banken. Die Führung verhandelt mit einer Drittpartei, um die Versorgung der Raffinerien in England und Deutschland mit Öl sicherzustellen. In Cressier sind die Vorräte aufgebraucht - und 260 Arbeitsplätze in Gefahr. Dass die Raffinerie dauerhaft geschlossen wird, erwarten Branchenkenner aber nicht: Wenn die elf Gläubigerbanken einen Teil ihrer Forderungen abschreiben würden, finde sich auch ein Käufer. Gemäss der Gewerkschaft Unia gehören UBS und Credit Suisse zu deren Kreis. Die beiden Institute brachten (mit Morgan Stanley) die Zuger an die Börse. Credit Suisse mochte auf Anfrage den Emissionsprospekt nicht herausgeben. Die Informationen seien veraltet, begründete Sprecher Marc Dosch.
Sogar wenn der Verkauf von Raffinerien gelingt, könnte das für Petroplus zum Bumerang werden. Hohe Kosten für Umweltsanierungen drohen. Bei einigen Anlagen muss die Firma für einen Teil davon geradestehen. Den genauen Anteil legt sie im Geschäftsbericht nicht offen. Die Rückstellungen für umweltbezogene Sanierungen betrugen vergangenes Jahr 11 Mio. $. Bei drei Raffinerien hat Petroplus Verschmutzungen festgestellt.
Was bedeutet das für die Versorgung in der Schweiz? Ein Drittel des Rohöls wird bisher hier raffiniert. Doch auch die zweite Raffinerie in Collombey soll rote Zahlen schreiben und die Eigentümerin Tamoil einen Verkauf prüfen. Würden beide Anlagen geschlossen, müsste die Schweiz ihre Versorgungspolitik umstellen, sagt Niklaus Boss, Geschäftsführer der Erdölvereinigung. Alle Erdölprodukte müssten dann eingeführt werden. Das würde die Flexibilität in der Beschaffung verringern und die stark genutzte Infrastruktur auf Strasse und Schiene strapazieren.
Drohende Schliessung
Die Schliessung der Raffinerie Cressier trifft auch zwei wichtige Industrie-Kunden. Vitogaz deckt sich im Ausland mit Propangas ein. Bisher bezog der Flüssiggas-Anbieter einen Grossteil davon aus Cressier. Bis auf weiteres kann Vitogaz die Tanks von Petroplus zur Lagerung weiter nutzen, sagt Verkaufschef Patrick Kocher. Lonza bezieht aus Cressier täglich eine dreistellige Tonnen-Menge des Ölderivats Butan, das im eigenen Cracker in Visp weiterverarbeitet wird. «Wir prüfen die Konsequenzen einer Schliessung von Cressier», sagt Sprecher Dominik Werner. (frp.)
Quelle: NZZ