Euro-Krise: Die vier Zeitbomben der Kanzlerin
Eine Kolumne von Wolfgang Münchau
Kanzlerin Merkel: Es wird jetzt deutlich ungemütlicher
Angela Merkel will bis zur Bundestagswahl keine unpopulären Entscheidungen mehr treffen. Eine riskante Strategie. Denn die Euro-Krise droht an gleich vier Schauplätzen zu eskalieren.
Bis vor kurzem lief alles wie am Schnürchen für die Bundeskanzlerin. EZB-Chef Mario Draghi hatte der Euro-Krise im vergangenen Sommer ein scheinbares Ende gesetzt - der Aufkauf von Staatsanleihen beruhigte die Märkte. Merkel empfahl sich als die Retterin des Euro. Mir fiel während dieser Zeit häufig der Kitt aus der Brille, wenn ich Umfragen las, wonach die deutsche Bevölkerung Merkels souveränes Management der Euro-Krise besonders schätze.
Die Krise ist zwar bislang nicht in ihrem vollen Maße zurückgekehrt, aber seit der Wahl in Italien ist der Optimismus verflogen. Wir sind wieder an einem dieser gefährlichen Wendepunkte. Ich sehe vier mögliche Entwicklungen, die der Bundeskanzlerin noch vor der Bundestagswahl gefährlich werden können.
Die größte Gefahr geht momentan von Italien aus. Das Land steckt in einer sich verschärfenden Rezession und ist durch eine politische Krise gelähmt. Um im Euro zu überleben, braucht Italien intern Reformen, die das Land politisch nicht schafft. Und extern Zugeständnisse, die Deutschland ablehnt. Nach meinen Gesprächen dort in der vergangenen Woche besteht die einzige Hoffnung auf eine moderne und stabile Regierungsarbeit in den nächsten fünf Jahren in einem Generationswechsel an der Spitze beider Volksparteien. Die Partito Democratico ist innerlich zerrissen. Parteichef Pier Luigi Bersani, der jetzt krampfhaft versucht, eine Regierung zu bilden, und sein junger Herausforderer Matteo Renzi, Bürgermeister von Florenz, sind erbitterte Kontrahenten. Renzi drängt an die Macht. Zwischen beiden klafft eine Lücke von ungefähr zwei Generationen.
Ein Euro-Austritt Italiens nur noch eine Frage der Zeit?
Es besteht eine kleine Chance, dass dieser Generationswechsel gelingt. Aus heutiger Sicht wahrscheinlicher ist jedoch eine erneute, nicht demokratisch legitimierte Technokraten-Regierung, die die radikalen Kräfte mittelfristig stärken wird. In diesem Szenario liefe es auf eine absolute Mehrheit für Beppe Grillos Anti-Establishment Bewegung zu. Meine Gesprächspartner in Italien halten dieses Szenario mittlerweile für das wahrscheinlichere. Ob es dann tatsächlich zum versprochenen Referendum über den Euro kommt, ist nicht klar. Aber es ist auch nicht wirklich wichtig. Aus der gegenwärtigen Rezession würde eine Depression, denn wer wird schon unter Grillo investieren? In diesem Szenario wäre ein Euro-Austritt Italiens nur noch eine Frage der Zeit.
Der zweite gefährliche Themenkomplex sind die von den Regierungen völlig unterschätzten konjunkturellen Auswirkungen der Sparpolitik. Es ist jetzt so gekommen, wie ich das im vergangenen Jahr vorhersagte: Der Sparkurs hat das Wachstum in der ganzen Euro-Zone reduziert. Die Schuldenquote steigt, weil der Nenner (die Wirtschaftsleistung) schneller fällt als der Zähler (die Schulden). Italien steuert jetzt wegen der von der Bundeskanzlerin so gepriesenen Sparpolitik auf eine Schuldenquote von 130 Prozent zu. Und bislang ist auch in Deutschland der vielprognostizierte Aufschwung nicht eingetreten. Im Januar fiel die Industrieproduktion in Deutschland und Frankreich. Mit dieser Politik sind die Überlebenschancen für den Euro gering. Eine Kehrtwende weg vom Sparkurs aber wäre eine große Niederlage für Merkel.
Das dritte Risiko ist Zypern. Die Europäische Zentralbank hat laut einem Bericht in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" die Veröffentlichung von Daten unterschlagen, die darüber Aufschluss geben, wie in den Euro-Ländern das Vermögen verteilt ist. Der Bericht ist politisch explosiv, denn er enthält ein Ergebnis, das für viele Leser überraschend erscheinen mag. Der Durchschnitts-Deutsche ist ärmer als der Durchschnitts-Italiener oder -Franzose - und gar nicht so viel reicher, wenn überhaupt, als der Durchschnitts-Zyprer.
Warum sollen arme Deutsche für reiche Zyprer haften?
Die Deutschen haben hohe Einkommen, aber wenig Vermögen. Das liegt vor allem daran, dass die Deutschen seltener Häuser oder Wohnungen besitzen als die Bürger aller übrigen EU-Staaten. Anderswo machen Immobilien den größten Teil des Vermögens der Privatleute aus. Und mit dieser Statistik stellt sich natürlich die politische Frage, warum arme Deutsche für reiche Zyprer haften sollten.
Die Bundesregierung erkennt sehr wohl die politische Gefahr, die durch eine Rettung Zyperns entsteht. Man hofft in Brüssel auf eine Einigung bis Ende des Monats. Im späten Frühling muss Zypern eine große Staatsanleihe umschulden. Aber wie bekommt man eine Einigung durch den Bundestag? Wenn die Bundesregierung auf eine Beteiligung der zyprischen Sparer pocht, dann knallt es in den Finanzmärkten. Wenn nicht, kann es sein, dass die SPD das Vorhaben ablehnt und es dann im Bundestag scheitert.
Die vierte Gefahr für Merkel ist die in dieser Woche etablierte Anti-Euro-Partei. Ich sehe zwar nicht deren Einzug in den Bundestag, aber sicherlich die Möglichkeit eines Achtungserfolgs, der die Union wertvolle Stimmen kosten kann. Die Erfahrung der Euro-Krise zeigt, dass überall, auch in Deutschland, ein Nährboden für Protestbewegungen entstanden ist. Und damit werden auch hier die Wahlen unberechenbarer.
Meine Prognose ist, dass Merkel am Euro politisch scheitern wird. Die Frage ist für mich nur noch, ob das vor der Wahl geschieht oder irgendwann danach.
http://www.spiegel.de/wirtschaft/warum- ... 88620.html
Wolfgang Münchau ist Associate Editor und Kolumnist der "Financial Times" und Mitbegründer von
http://www.eurointelligence.com, einem Informationsdienst über den Euro-Raum. Er gründete die "Financial Times Deutschland" mit und war deren Co-Chefredakteur. Zuvor arbeitete Münchau als Korrespondent englischer Zeitungen in Washington, Brüssel und Frankfurt am Main. Er lebt und wohnt in Brüssel und hat mehrere Bücher zur internationalen Finanzkrise veröffentlicht.