ABB feiert einen Durchbruch in der Energiewende. Bis sich das in den Zahlen niederschlägt, wird es noch eine Weile dauern. Einen Wettbewerbsvorteil hat der Industriekonzern aber schon heute.Von Sven ZauggEin 100 Jahre altes Rätsel sei gelöst worden, frohlockte der Industriekonzern ABB in einer Medienmitteilung, und dessen CEO Joe Hogan gab zu Protokoll: "ABB hat ein neues Kapitel in der Geschichte der Elektrotechnik aufgeschlagen." Und tatsächlich darf der Industriekonzern einen technischen Durchbruch für sich reklamieren, der die erneuerbaren Energien weltweit voranbringen kann.Nach eigenen Angaben hat das Unternehmen nach jahrelanger Forschung den ersten Leistungsschalter für die Hochspannungs-Gleichstromübertragung (HGÜ) entwickelt. Damit ist eine "effiziente Integration von erneuerbaren Energien über grosse Entfernungen möglich".Auch aus der Distanz betrachtet, ist das Forschungsergebnis des Schweizer Industriekonzerns durchaus positiv zu bewerten. "ABB hat ein grosses Problem der Elektrotechnik gelöst. In Zukunft sind Netze mit Gleichstrom möglich", sagt Richard Frei, Analyst bei der Zürcher Kantonalbank (ZKB).Die Zukunft gehört ganz klar den erneuerbaren Energien. Gleichstrom und erneuerbare Energie passen besser zusammen als die dominierende Wechselstromtechnologie. Heute wird Strom vor allem in der Nähe des Verbrauchers erzeugt. Im Gegensatz dazu werden die Standorte von Wind- und Solarkraftwerke von der Natur vorgegeben.Ein grosser Wettbewerbsvorteil"Mit dem Leistungsschalter", erklärt ZKB-Analyst Frei, "kann man Wechselstromnetze flexibilisieren und viel besser den lokalen Gegebenheiten anpassen – egal ob Sonne-, Wind- oder beispielsweise Wasserenergie." Oder wie es der Industriekonzern formuliert: "Gleichstrom-Overlaynetze werden effizient und stabil Länder und Kontinente miteinander verbinden und die bestehenden Wechselstrom-Übertragungsnetze stärken."ABB hat sich damit einen grossen Wettbewerbsvorteil gegenüber seinem grössten Rivalen Siemens und den Mitkonkurrenten aus China erarbeitet. "Diejenigen, die bis jetzt auf ABB-Technologie gesetzt haben, werden das aufgrund des technologischen Durchbruchs auch in Zukunft tun", sagt Research-Leiter Panagiotis Spiliopoulos von der Bank Vontobel.Noch habe sich das neue Produkt nicht in den Zahlen niedergeschlagen, sagt der Vontobel-Analyst und glaubt, dass die ersten Pilotprojekte bereits in zwei Jahre realisiert werden. Für Spiliopoulos nimmt ABB sogar das "neue, moderne Stromnetz" vorweg: "Wir sprechen hier von einem Effizienzgewinn von 20 bis 30 Prozent."Die Umwälzung im Energiemarkt wird indessen nicht von heute auf morgen stattfinden. ZKB-Analyst Frei kommt deshalb zu einer ähnlichen Einschätzung wie Spiliopoulos: "Kurzfristig wird sich der Leistungsschalter nicht in den Zahlen niederschlagen. Zuerst muss die globale Energie-Infrastruktur für den Gleichstrom ausgebaut werden. Erst dann kann der Leistungsschalter zum Zug kommen."Skeptische Stimmen aus DeutschlandVorderhand zeigen die Valoren des Industriekonzerns denn auch am Tag nachdem ABB ihr neues Produkt vorstellte, nur leichte Kursavancen. Derzeit notieren sie bei 17,50 Franken – einem Plus von 1,5 Prozent. Das wird sich allerdings ändern, denn der Trend hin zu dezentralen, erneuerbaren Energiequellen ist offensichtlich. Das werden langfristig auch die ABB-Aktien goutieren.Es gibt aber auch kritische Stimmen. In der "Financial Times Deutschland" äussert sich Thomas Leibfried, Chef des Karlsruher Instituts für Elektroenergiesysteme und Hochspannungstechnik, eher zurückhaltend: "ABB hat eine Lösung geschaffen, wobei natürlich fraglich ist, ob der Schalter schon technisch ausgereift genug ist", sagt er.Auch Axel Holst, Inhaber des Lehrstuhls für elektrische Energieversorgung an der Uni Rostock, ist skeptisch und gibt zu bedenken: Die Technologie werde nicht sofort einsetzbar sein, weil Komponenten wie geeignete Kabel noch fehlten.Bleibt am Schluss noch die Sache mit dem Patent. Vontobel-Analyst Spiliopoulos winkt ab. Industriekonzerne würden schon dafür sorgen, dass solche Produkte geschützt würden. Es scheint also ganz so, als würde ABB der Konkurrenz eine Nasenlänge voraus zu sein.Quelle Cash