Facebook und die Fallgruben bei Börsengängen
Mein Kommentar: Bin gespannt, was da noch auf uns zukommt betreffend Klagen gegen das Bankenkonsortium und/oder Mark Zuckerberg. Irgendwie bin ich fast ein bisschen schadenfreudig gegenüber den Investoren, die hier diesem Hype geglaubt haben, auch wenn ich indirekt wohl auch betroffen bin - z.B. über die PK. Es stimmt mich sehr bedenklich, dass sogennante "Profis", damit meine ich z.B. PK-Fondsmanager, auf diesen Hype ebenfalls reingefallen sind. Lustigerweise haben sich institutionelle Anleger sogar noch verpflichten müssen diese Aktien längerfristig zu halten. Ich meine bei so einer Forderung müsste man doch schon nachdenklich werden oder diese Aktie noch kritischer analysieren. Falls dies mit der «Blackout-Periode» wirklich zutrifft liegt eine noch grössere Abwertung durchaus in der Luft, zumindest kurzfristig. Ich habe natürlich keine Ahnung, wie diese Aktie in 10 Jahren steht, falls es sie bis dahin noch gibt, im Moment zeigen die langfristigen Zukunftssaussichten doch eher einen Kurs deutlich unter 38 USD als darüber. Gibt es Punkto Dividende bereits einen Richtwert?
Preisfindung, Aktienzuteilung, Kurspflege, Publizität - es gilt vieles gleichzeitig im Auge zu behalten
Facebook hat gezeigt, wie schnell aus einem hochgelobten Börsengang ein pitoyables Debüt werden kann. Die Verantwortung dafür wollen viele Beteiligte und Beobachter dem Lead-Manager anhängen.
Werner Grundlehner
Bevor der erste Kurs bei einem Börsengang gestellt werden kann, gibt es während mehrerer Monate für Experten Arbeit in Hülle und Fülle. Die Fäden laufen dabei bei der federführenden Bank, dem Lead-Manager, zusammen. In aller Regel ist dies eine Investmentbank, die ein Konsortium von Emissionsbanken führt. Am Beispiel von Facebook hat sich jüngst gezeigt, was in der Vorbereitung alles schieflaufen kann und welchen Schaden dabei ein Lead-Manager, in diesem Fall Morgan Stanley, anrichten kann oder auf sich nehmen muss. Er könne sich an keinen vergleichbar prominenten Börsengang erinnern, bei dem schon am Emissionstag derart viele Stimmen darauf hingewiesen hätten, dass der Emissionskurs zu hoch angesetzt worden sei, sagt Alfred Mettler. Mettler ist als Professor an der Georgia State University tätig.
Der Lead-Manager kann sich nicht darauf berufen, nicht informiert gewesen zu sein. Ein Grund dafür, dass ein Börsengang rund sechs Monate in Anspruch nimmt, ist die umfassende Prüfung (Due Diligence) des Börsenkandidaten durch die Konsortialbanken. Diese Prüfung wird nicht von den Analytikern durchgeführt, die später den Geschäftsverlauf für Investoren verfolgen und begutachten. Die Due Diligence soll die relevante Bewertung der Firma zeigen. Dabei ziehe man je nach Branche auch Experten wie Mediziner, Verfahrens-Technologen und Biochemiker bei, erklärt Andreas Neumann, Leiter Equity Capital Markets bei der Zürcher Kantonalbank. Neumann beschäftigt sich vor allem mit Schweizer und europäischen IPO (Initial Public Offering; Erstemission). Das IPO-Geschäft sei aber sehr international und daher auch weltweit vergleichbar.
Gleichung mit Unbekannten
Das Schweizer Recht ist im IPO-Bereich stark an die US-Regulierung angelehnt. Ein Kenner des US-Kapitalmarktes weist darauf hin, dass eine Due Diligence bei Technologiefirmen, vor allem aus dem Internet-Bereich, heikel sei. Die wenigen vorhandenen Vermögenswerte seien rasch bewertet. Doch der Wert eines Unternehmens hänge vor allem von der Entwicklung der Nutzerzahlen und damit korrelierender Werbe- und eventuell Abonnementseinnahmen ab. Diese Prognosen könnten sich schnell verändern. Im Gegensatz dazu seien Vorhersagen eines Produktionsbetriebs, die im April gemacht würden, auch im Mai noch relevant.
Das Resultat einer Due Diligence kann als vorläufiger Börsenprospekt gesehen werden, der alles zeigen muss, was für potenzielle Anleger relevant sein könnte. Die wichtigsten Punkte sind der Beschrieb der Geschäftstätigkeit, des Managements, historische Entwicklungen und mögliche Risiken. Facebook führte im Emissionsprospekt 51 Risiken auf, die das Unternehmen gefährden könnten. Das war eindeutig mehr als bei einem durchschnittlichen Schweizer Börsenkandidaten. Doch auch beim Börsengang von Google wurden auf mehreren Seiten Risiken aufgezeigt.
Das Social Network Facebook, das immer wieder in der Kritik steht, Kundendaten nicht angemessen zu schützen, führt beispielsweise auch Vorstösse von Regierungen als Risiko an, aber auch das Auf und Ab an der Börse wird als Gefahr erwähnt. Damit will der Aspirant für das IPO mögliche Haftungsklagen ausschliessen. Jedoch enthält der Prospekt keine Ausblicke und Schätzungen. Da Prognosen sich ohnehin nicht genau erfüllten, würden sie nur Klagemöglichkeiten eröffnen. Börsenprospekte haben mittlerweile ein Volumen von 200 und mehr Seiten erreicht; vor einigen Jahren waren es im Schnitt eher rund 50 Seiten gewesen. Noch vor der Offenlegung eines vorläufigen Prospekts führen IPO-Kandidaten Präsentationen im Hinblick auf die Erstellung von Analytiker-Berichten der Konsortialbanken durch. Das Konsortium von Facebook umfasste Morgan Stanley, JP Morgan Chase sowie Goldman Sachs. Zusätzlich wurden noch mehr als 30 Bookrunner an Bord geholt. Bei den Präsentationen werden gewisse Anhaltspunkte zum Wachstumspotenzial gegeben. Jeder Analytiker muss sich aber selbst ein Bild vom Unternehmen machen und eigene Schätzungen vornehmen. Hier ist ein Management der Erwartungen gefragt, damit sehr positive und sehr negative Einschätzungen nicht zu stark auseinanderklaffen.
Die Analytiker erstellen in der Folge eigene Research-Berichte und gehen damit auf ihre Kunden zu. Dort holen sie eine Marktmeinung ein und loten das Interesse für die Zeichnung von Aktien aus. Beispielsweise sagt eine Pensionskasse, sie sei daran interessiert, 1 Mio. Aktien zu je 40 $ zu zeichnen. Das Zusammentragen all dieser Verkaufsabsichten vor einem IPO führt zum Festlegen der Bandbreite des Emissionspreises. Facebook setzte am 3. Mai die Preisspanne auf 28 $ bis 35 $ fest. Vier Tage später startete Facebook seine Roadshow, um sich interessierten Anlegern zu präsentieren.
Gleichzeitig mit der Roadshow, rund zwei Wochen vor Börsengang, beginnt die Bookbuilding-Phase, mit welcher Emissionspreis und Aktienvolumen ermittelt werden. Die Investoren placieren nun verbindliche Aufträge. Zwar können diese grundsätzlich zurückgezogen werden. Dies versuchen institutionelle Investoren aber zu vermeiden, um die Glaubwürdigkeit für kommende Aktienzuteilungen nicht zu verlieren, wie Andreas Neumann von der ZKB sagt. Die grosse Nachfrage veranlasste Facebook am 15. Mai, die Preisspanne auf 34 $ bis 38 $ zu erhöhen. Ein solcher Schritt war für das Bankenkonsortium aufwendig, denn nun mussten alle Interessenten, die ihr Angebot «bestens» geleistet hatten, angefragt werden, ob dieses auch für die neue Preisspanne gelte. Aus diesem Grund ist ein Anpassen der Preisspanne in Europa kaum gebräuchlich. Bei Facebook gaben einige bestehende Aktionäre bekannt, sie wollten unter diesen Bedingungen einen Teil ihrer Valoren verkaufen. Das Emissionsvolumen stieg so um einen Viertel auf 421 Mio. Aktien.
Nebengeräusche bei Facebook
Einen Tag - in Ausnahmefällen zwei Tage - vor dem ersten Handelstag endet das Bookbuilding. Jetzt werden Interessenten Aktien zugeteilt. Für die Zuteilung bei überzeichneten Angeboten (wie bei Facebook der Fall), wenn also die Offerten zum Aktienkauf das effektive Angebot übertreffen, hat die Schweizerische Bankiervereinigung Richtlinien erlassen. Ähnliche Usanzen gelten auch für andere Länder. Grundsätzlich muss die Zuteilung «sinnvoll und fair» sowie im strategischen Interesse des Börsenkandidaten sein. Dazu kann eine proportionale Zuteilung gewählt werden: Ist die Emission beispielsweise siebenfach überzeichnet, erhält jeder einen Siebtel seiner Kaufofferte. Eine Zuteilung kann mit Ober- und Untergrenzen ergänzt werden. So erhält etwa niemand mehr als 3% der Aktien, und ganz kleine Aufträge (weniger als 10 Titel) werden gestrichen.
Ein Börsenkandidat ist frei, einzelne Investoren, die in der Roadshow behilflich waren oder die ein ausserordentliches langfristiges Interesse an der Firma bekunden, zu bevorzugen. Folgerichtig können Investoren, die im Verdacht stehen, nur kurzfristig zu spekulieren, beispielsweise Hedge-Funds, unterproportional berücksichtigt werden.
Dass die Facebook-Aktien am ersten Tag einen Umsatz von 138% der angebotenen Aktien aufwiesen - also viele Aktien mehr als einmal den Besitzer wechselten -, spiegelte wohl stark unterschiedliche Meinungen des Börsenpublikums. Bei Aktienerstemissionen sind deutlich niedrigere Werte, im Durchschnitt etwa 25% der ausstehenden Aktien, die Regel. Die Hektik war teilweise auf Facebook selbst zurückzuführen. So hatte angeblich der Finanzchef des Unternehmens wenige Tage vor der Erstemission zwei Banken aus dem Konsortium informiert, dass die Zahlen zum zweiten Quartal tiefer ausfallen würden als bisher angenommen. Gemäss Presseberichten hat der Finanzchef Analytikern empfohlen, ihre Prognosen zu korrigieren, was diese auch gemacht hätten.
Zudem sind, wie in den Medien kolportiert wird, Grossinvestoren durch Analytiker über die veränderten Aussichten informiert worden. Zahlreiche institutionelle Anleger hätten in der Folge die Kaufofferten auf 32 $ reduziert; die Facebook-Aktie ging am vergangenen Freitag zu $ 31.91 aus dem Markt. Falls die Gerüchte sich bewahrheiten sollten, wäre das sehr ungewöhnlich, halten Kenner des IPO-Geschäfts fest. In der Regel müssen sich die Analytiker der Konsortialbanken nach den Worten von Neumann zu einer sogenannten «Blackout-Periode» verpflichten, die 40 Tage nach Vollzug eines IPO endet. Denn es sei im Interesse des Konsortiums, dass stabile Verhältnisse um den Börsengang herrschten.
Börse ist keine Einbahnstrasse
Angeblich hat Morgan Stanley versucht, am ersten Handelstag drohende Verluste durch Stützungskäufe abzuwenden. Mettler fügt an, es sei üblich, dass die Konsortialbank zusichere, den Kurs an den ersten Handelstagen in einer gewissen Bandbreite zu halten. Eine feste Kursuntergrenze werde meist aber nicht vertraglich festgehalten, denn eine solche zu halten, könne Konsortialbanken sehr teuer zu stehen kommen. Jedenfalls hat eine federführende Bank grundsätzlich ein Interesse daran, einen Börsenkandidaten zu einem angemessenen Kurs an die Börse zu bringen und dafür zu sorgen, dass keine zu grossen Kursrückschläge resultieren. Sonst wird der Ruf in diesem oft lukrativen Geschäft nachhaltig beschädigt.
Am meisten zu reden geben dürfte, ob im Falle von Facebook die Anpassung der Prognosen zur «Unzeit» gemacht und die Information nur an Handverlesene weitergegeben wurde. Das Verletzen der Publizitätsvorschriften wird in den USA tendenziell härter geahndet als etwa in der Schweiz. Vermutlich wird das Verhalten des Facebook-Finanzchefs unmittelbar vor dem IPO noch die Wertpapieraufsichtsbehörde beschäftigen. Weil im Prospekt keine konkreten Wachstumserwartungen erwähnt wurden, gab es für den Finanzchef im Prinzip keine direkte Veranlassung, während des Bookbuilding-Verfahrens eine korrigierte Umsatz- und Gewinnerwartung abzugeben.
Schliesslich lag es im Ermessen von Facebook, am letzten Tag vor dem Börsengang diesen abzusagen, zu verschieben oder den Emissionspreis zu ändern. Ein befragter Wirtschaftsanwalt sagte, der Börsenkandidat entscheide selbständig, zu welchem Preis er an die Börse gehe, auch wenn das meist in enger Absprache mit den Konsortialbanken geschehe. Der IPO-Markt sei durch die Vorgänge um Facebook nicht nachhaltig geschädigt worden, glaubt Mettler. Einerseits sei dieser in den letzten Jahren aus anderen Gründen (Sarbanes-Oxley) bereits abgekühlt, und andererseits gehöre die jetzige Aufgeregtheit gewissermassen zum amerikanischen System. Es werde eben eingeklagt, was eingeklagt werden könne.
Seien diese Verfahren beendet, komme es vielleicht zu einer Verschärfung der Regeln. Werde ein Fehlverhalten von Morgan Stanley festgestellt, könne dies für die Bank teuer werden. Dann kehre man aber zurück zu «business as usual». Die amerikanische Wirtschaft habe ein vitales Interesse daran, dass es weiterhin IPO in den USA gebe. Zudem sei das Ganze vielleicht sogar heilsam. Jedenfalls ist den Investoren klar vor Augen geführt worden, dass es keine Garantie gibt, dass neue Aktien am ersten Handelstag Kursgewinne erreichen.
NZZ vom 29.5.12