«DER LEICHTE ZUGANG ZU HYPOTHEKEN WIRKT WIE EINE FALLE»
SNB-VIZEDIREKTOR DANTHINE:
«Wir verteidigen nicht die Finanzindustrie, sondern die Realwirtschaft»
Jean-Pierre Danthine, Vizedirektor Nationalbank, über Immo-Blase und Schutz der Realwirtschaft
Von Anne Gaudard
Bern Die Schweizerische Nationalbank (SNB) in der Zwickmühle: Sie muss unbedingt den Mindestkurs gegenüber dem Euro verteidigen, was nur bei historisch tiefen Zinsen möglich ist. Diese wiederum sind Hauptursache des Immobilienbooms, der zur gefährlichen Blase auszuarten droht. Wie sich die SNB in dieser schwierigen Lage durchschlägt, erklärt Jean-Pierre Danthine, Vizepräsident des Direktoriums, im Interview.
Der Boom des Immobilienmarktes zeigt keinerlei Zeichen einer Abschwächung.
Unsere Analyse ist da nicht so eindeutig. Es gibt durchaus eine gefährliche Dynamik, die Korrekturmassnahmen nötig macht. Massnahmen sind indes schon früh getroffen worden, bereits im Juli 2012. Im Februar hat dann der Bundesrat auf unseren Antrag hin beschlossen, den antizyklischen Kapitalpuffer umzusetzen, der die Banken verpflichtet, Hypotheken für Wohnimmobilien mit zusätzlichem Eigenkapital zu unterlegen. Es gibt Anzeichen dafür, dass diese präventiven Massnahmen bereits Wirkung zeitigen könnten. So war der Preisschub im Gesamten gesehen im ersten Halbjahr 2013 weniger stark als in der Vorjahresperiode.
Wenn es aber so weitergeht, werden die Blasen-Indikatoren so hoch sein wie nie mehr seit den 1990er-Jahren. Bleibt noch genügend Zeit, um Gegensteuer zu geben?
Der Kapitalpuffer zielt in erster Linie darauf ab, die Widerstandskraft der Banken zu stärken. Dieses Ziel werden wir erreichen. Bereits heute verfügt die Mehrzahl der Banken über einen soliden Eigenkapitalsockel. Die anderen Institute haben vorgesorgt, damit ihre Fähigkeit, Verluste am Kreditmarkt zu absorbieren, bis Ende September gestärkt ist. Trotz all dieser getroffenen Massnahmen kann aber noch nicht beurteilt werden, ob die Bremswirkung reicht, um eine harte Landung zu verhindern. Dazu ist es zu früh. Wir sind aber überzeugt, dass es sinnvoller ist, früh und sanft einzugreifen, als spät und hart.
Stark exponiert sind auch die Privathaushalte, da sie von den historisch tiefen Zinsen profitieren wollen und sich kurzfristig sehr stark verschuldet haben.
Zunächst einmal: Die Banken schützen heisst die Privathaushalte schützen. Wir verteidigen nicht die Finanzindustrie, sondern die Realwirtschaft. Es muss sichergestellt werden, dass die Banken ihrer Aufgabe nachkommen können, Kredite zu gewähren, und zwar selbst dann, wenn die Hypozinsen schockartig steigen und die Immobilienpreise fallen sollten.
Wie steht es um die Haushalte?
Der Anteil der Haushalte, die Hypotheken mit festen Laufzeiten - zum Beispiel für 5 oder 10 Jahre - abgeschlossen haben, steigt seit der Jahrtausendwende kontinuierlich. Dennoch machen Hypotheken mit kurzen Laufzeiten, namentlich Libor-Hypotheken, ein grosses Volumen aus. Anziehende Zinsen würden zuerst Haushalte mit variablen Hypotheken direkt treffen.
Alles eine Folge der tiefen Zinssätze?
Wir können nur feststellen, dass die Ausweitung des Kreditvolumens mit der Tiefzinsperiode zusammenfällt. Der leichte Zugang zu Krediten wirkt wie eine Einladung, ja, ich würde sogar sagen, wie eine Falle. Bei 40 Prozent der neu gesprochenen Hypothekarkredite wird die Vorsichtsregel nicht eingehalten. Diese besagt, dass ein Haushalt in der Lage sein muss, einen Zinssatz von nahezu 5 Prozent zu verkraften, wobei die Bedienung der Schuld höchstens ein Drittel der Einnahmen beanspruchen darf. Ein Zinssatz von rund 5 Prozent für Hypotheken mit langer Laufzeit entspricht dem historischen Durchschnitt.
Bieten Hypotheken mit fixem Zinssatz genügend Schutz?
Sie spielen wohl auf jene Banken an, welche eine Vertragsklausel eingeführt haben, in bestimmten Situationen bei steigenden Zinsen die fixen Hypotheken kündigen zu dürfen. Solche Klauseln sind schwierig zu interpretieren. Unserer Kenntnis nach ist bisher nie auf sie zurückgegriffen worden. Man kann sich vorstellen, dass die Banken solche Vertragsklauseln nur mit grösster Vorsicht aktivieren würden.
Die Banken haben ihrerseits alle Anreize, sich kurzfristig zu refinanzieren. Hat die SNB eine Übersicht über all die Fälligkeiten der grossen Banken?
Ja. Man muss aber unterscheiden, gibt es doch Banken, die sich primär auf Spareinlagen stützen, während andere zu ihrer Finanzierung stärker den Kapitalmarkt oder das Interbankengeschäft beanspruchen. In allen Fällen erarbeiten wir Szenarios, um zu verstehen, wie gross die Auswirkungen einer scharfen Zinserhöhung sein könnten. Unsere Berechnungen ergeben, dass im Mittel die negativen Folgen signifikant wären, wobei die Höhe des Verlusts an wirtschaftlicher Substanz vom jeweiligen Geschäftsmodell abhängig ist. Zudem könnten die Banken, die davon ausgehen, dass die Spareinlagen bei einem Zinsanstieg so stabil bleiben wie in den letzten Jahren, die eingegangenen Risiken unterschätzen. Falls die Zinsen allgemein steigen, wird es teurer, die Spareinlagen zu halten, als die Banken heute allgemein glauben. Wir haben die Banken angemahnt, sich dieser ausserordentlichen Situation voll bewusst zu werden.
Unterschätzen die Banken die Gefahren eines Zinsanstiegs also immer noch?
Viele Banken haben sich für risikoreiches Verhalten entschieden, wahrscheinlich, weil sie davon ausgehen, dass die Tiefzinsperiode andauern wird. Wir machen sie darauf aufmerksam, dass sie die Risiken unterschätzen könnten.
Wie würde sich ein Zinsanstieg auf den Mindestkurs des Frankens zum Euro auswirken?
Bei den langfristigen Krediten hätte eine Erhöhung des Zinssatzes keine direkte Auswirkung auf den Mindestkurs. Sollte hingegen die SNB eines Tages beschliessen, die kurzfristigen Zinsen anzuheben, so könnte sie das nur tun, wenn der Wechselkurs vom Mindestkurs losgelöst ist.
Die SNB schachmatt ...
... mitnichten. Es stimmt aber, dass unsere Wechselkurspolitik unsere Handlungsmöglichkeiten bei den Zinsen einschränkt. Handkehrum betreiben wir nur deswegen eine Wechselkurspolitik, weil das Zinsniveau praktisch bei null liegt. Im Moment hat der Mindestkurs, den wir mit aller Konsequenz durchsetzen, absolute Priorität für unsere Geldpolitik.
Wie viele Nullen hat eine Billion?
Zwölf.
Wissen Sie, wie gross die Verpflichtungen sind, welche die beiden Schweizer Grossbanken CS und UBS im Derivategeschäft eingegangen sind?
89 000 Milliarden beziehungsweise 89 Billionen Franken.
In ihren Statistiken weist die Nationalbank aber 50 Billionen aus.
Das liegt daran, dass nur die Derivate erfasst werden, welche die Muttergesellschaften in der Schweiz emittiert haben, nicht aber auch jene ihrer ausländischen Tochterunternehmen. Unsere Abteilung für Finanzstabilität kennt indes natürlich auch die globalen Volumen der beiden Grossbanken.
Damit ist die Schweiz verhältnismässig am stärksten exponiert, die USA und Deutschland folgen mit grossem Abstand.
Es ist wichtig, zu sehen, dass der Bruttobetrag von 89 Billionen nicht die eingegangenen realen Risiken widerspiegelt, die deutlich tiefer sind. Doch wir wollen dies nicht verharmlosen: Es geht um sehr hohe Summen. Darum beharren wir ja darauf, dass die Banken ihre Eigenkapitalbasis stärken. Wir unterziehen sie sehr strengen Stresstests. Doch selbst in den Katastrophenszenarios betragen die realen Risiken auf diesen Derivaten nur einen Bruchteil der genannten Summe. Zudem ist der Bruttobetrag darum so hoch, weil die grossen Schweizer Banken im Derivategeschäft Vermittler sind und so gleichsam als «Versicherer» für zahlreiche andere in- und ausländische Institute agieren. Um sich selber abzusichern, geben sie diese Risiken aber wieder an andere weiter ... Durch diese Kaskade wird der Bruttobetrag einer eingegangenen Verpflichtung vervielfacht.
Zusammen sind UBS und CS bei den Derivaten stärker exponiert als J. P. Morgan oder die Deutsche Bank. Kann die Schweiz das verkraften?
Unser kleines Land exportiert proportional viele Güter und Dienstleistungen, namentlich auch finanzielle. Diese aussergewöhnliche Situation konfrontiert uns mit einer fundamentalen Frage: Verträgt die Schweiz eine Nestlé, nicht aber eine UBS oder CS? Grossbanken eines kleinen Landes müssen pleitegehen können, ohne dass die ganze Wirtschaft im Chaos versinken würde, wenn der Staat nicht als Retter in der Not einspringt. Ein Staat wie die Schweiz muss also das Problem des «Too big to fail» in den Griff kriegen, dann verträgt die Schweiz auch die beiden Grossbanken. Es ist unsere Hoffnung und unsere Überzeugung, dass wir eine Lösung für dieses Problem finden. Wir sind noch nicht da, wo wir sein wollen, doch wir arbeiten hart daran, sowohl auf nationaler wie auch auf internationaler Ebene. Am Ende des Prozesses werden die Banken genügend kapitalisiert sein, um ihre Risiken tragen zu können. Und die Steuerzahler wiederum werden selbst im Falle, dass es wirklich schlimm kommen sollte, geschützt sein.