Interview vom 6.11.17 mit CEO Hr. Weber
Moneycab.com:
Herr Weber, was lange währt, wird endlich gut, ist man versucht zu sagen. Nach einem Jahrzehnt ist Newrons Hauptmedikament Safinamide seit Mitte März 2017 nun auch in den USA zugelassen. Ein riesiger Markt öffnet sich. Wie gross ist das jährliche Umsatzpotenzial für Ihr Parkinson-Medikament?
Stefan Weber: Danke für die Gelegenheit, Ihre Fragen zu beantworten. Lassen Sie mich zunächst bitte klarstellen, dass die Zeit bis zur Zulassung von Xadago (Safinamide) nicht aussergewöhnlich lange war: Im Durchschnitt benötigen neue Wirkstoffe 12-15 Jahre, bis sie alle Prüfungsphasen durchlaufen und den Zulassungsprozess positiv abgeschlossen haben.
Klar, nur ein verschwindend kleiner Prozentsatz der ursprünglich in die Testphasen gebrachten Kandidaten kommt am Ziel an…
…Und mit Xadago gehört Newron zu einem exklusiven Kreis europäischer Biopharmazieunternehmen, die bisher einen eigenen Entwicklungskandidaten sowohl in der EU und in der Schweiz als auch in den USA in den Markt bringen durften. Zum Umsatzpotential kann ich nur auf die Einschätzung der uns begleitenden Analysten verweisen, die dem Produkt erhebliches Potenzial zutrauen – in der Spitze deutlich über 500 Millionen Euro pro Jahr. Über Lizenzgebührenzahlungen unserer Vermarktungspartner profitiert Newron vom Potenzial des Produktes.
Warum hat es rückwirkend betrachtet trotzdem so lange gedauert?
Wir haben den Zulassungsprozess in der EU ohne jede Verzögerung mit der Zulassung im Jahr 2015 abgeschlossen. Im Vergleich dazu hat der Prozess in den USA tatsächlich eine Verzögerung erfahren, da wir mit der FDA mehrfach Diskussionen zum Umfang und zur Struktur der eingereichten Dossiers führen mussten. Zuletzt hat die FDA akzeptiert, dass Xadago kein relevantes Suchtpotenzial aufweist, und final die Zulassung erteilt.
Als die FDA neulich eine Zulassung für ein Generikum von Copaxone zugunsten der US-Firma Mylan durchwinkte, ging alles rasend schnell. Misst die FDA mit zweierlei Mass?
Sie können die Zulassung eines Generikums nicht mit der eines neuen Wirkstoffes vergleichen. Im Falle von Xadago musste den Regeln entsprechend ein komplettes Wirksamkeits- und Sicherheitsprofil erstellt werden, im Falle von Generika fokussieren sich die Arbeiten am Nachahmerprodukt auf den Nachweis der Äquivalenz zum Originalprodukt, für das Wirksamkeit und Sicherheit ja schon ausführlich bewiesen worden sind. Zur weiteren Relativierung: Xadago war zum Zeitpunkt der Zulassung der erste neue chemische Wirkstoff in der Parkinson-Krankheit seit mehr als 10 Jahren, sowohl in den USA, als auch in Europa.
Ich meinte mit meiner Frage vor allem, ob US-Unternehmen bei der FDA schneller oder gar besser „behandelt“ werden?
Wir haben die FDA stets als sachorientierte Behörde erlebt.
„Analysten sehen bei Sarizotan Umsatzpotenzial von mehreren hundert Millionen Euro, das über die Marktexklusivität der Orphan Drug – Regulierungen auch langfristig gesichert ist.“
Stefan Weber, CEO Newron Pharmaceuticals
Sarizotan, ein anderer Produktkandidat von Newron, ist ein „Orphan Drug“-Medikament gegen eine sehr seltene Krankheit. Selbst wenn der Verkaufspreis dafür hoch ist: Kann man damit genug Umsatz machen, um ordentlich Geld zu verdienen?
Die Rett-Krankheit ist eine furchtbare neurodegenerative Entwicklungskrankheit, die betroffene Mädchen und Frauen Zeit ihres Lebens mit massiven Einschränkungen der Motorik, der intellektuellen Reife, der Kommunikation und der sozialen Interaktion konfrontiert. Es gibt aktuell keinerlei für Rett zugelassene Medikation. Sollte Sarizotans Wirksamkeit und Sicherheit im Rahmen der laufenden Zulassungsstudie «STARS» hinreichend nachgewiesen werden und die Zulassung erfolgen, könnte Sarizotan die einzige verfügbare Medikation für einen grossen Teil der 30’000 bis 35’000 Patientinnen in den USA und Europa sein. Analysten sehen Umsatzpotenzial von mehreren hundert Millionen Euro, das über die Marktexklusivität der Orphan Drug – Regulierungen auch langfristig gesichert ist.
In der klinischen Studie mit diesem Medikamentenkandidaten gegen das Rett-Syndrom setzt Newron auf eine 20%ige Reduktion der Atemstillstands-Phasen bei den Patienten. Das klingt aber nicht sonderlich «aggressiv»…
…Das Leben der Patientinnen ist heute in einem Masse beeinträchtigt, dass einer oder beide Elternteile ihren Beruf aufgeben oder ihre Tätigkeit erheblich einschränken, um sich um das Kind zu kümmern, meist an 7 Tagen und während 24h. In den Atemstillstands-Phasen, die oft ohne Unterbrechung stattfinden, sinkt die Sauerstoffversorgung des Gehirns der Patienten erheblich ab, was deutlich negative Konsequenzen für das Wohl und die Entwicklung des Kindes hat. In unseren bisherigen Modellen konnten wir die Atemstillstands-Phasen um rund 2/3 bis zu 85% reduzieren.
Es reicht also in der laufenden «STARS»-Studie aus, diese Phasen um 20% gegenüber Plazebo zu reduzieren, um die Wirksamkeit des Produktes nachzuweisen?
Wir sind zuversichtlich, dass uns das gelingt. Eltern, Pfleger und Ärzte, insbesondere die involvierten Pneumologen, haben uns versichert, dass wir mit Sarizotan das Potenzial haben, das Leben der Patienten und der Pflegekräfte in erheblichem Masse zu verbessern.
Mit Evenamide haben Sie ein mögliches Mittel gegen Schizophrenie in der Pipeline. Bestehende Medikamente sind sehr unzuverlässig. Wie gross sehen Sie die Chance, dass das Medikament greift? Oder ist die Krankheit viel zu komplex?
Wir sehen drei wesentliche Themen, wenn wir uns dieser Erkrankung, die rund 1% der Bevölkerung betrifft, nähern. Zunächst gibt es seit annähernd 30 Jahren keine relevante Innovation in Form neuartiger Medikamente. Zweitens weisen alle heute zugelassenen Medikamente, die vielfach Umsätze von mehreren Milliarden Euro aufweisen, alle vergleichbare Wirkmechanismen auf, die sich auf den Neurotransmitter Dopamin beziehen. Diese Medikamente zeichnen sich drittens dadurch aus, dass sie lediglich für eine gewisse Zeit Nutzen sprich Wirksamkeit zeigen (nach 18 Monaten haben durchschnittlich 74% der Patienten ihre Therapie abgesetzt), diese aber über erhebliche Nebenwirkungen erkaufen.
Und was heisst dies für Evenamide?
Evenamide hat einen komplett anderen und von Dopamin unabhängigen Wirkmechanismus, die sogenannte spannungsabhängige Natriumkanalblockade, die auf den Neurotransmitter Glutamat einwirkt. Wir haben zu Beginn des Jahres im Rahmen einer sogenannten Proof-of-Concept-Studie Wirksamkeits- und Sicherheitsdaten mit Evenamide als Zusatztherapie zu den heute führenden Medikamenten vorgelegt, die nahelegen, dass Evenamide den Patienten relevanten Zusatznutzen ohne zusätzliche Nebenwirkungen bietet. Sollten diese Ergebnisse in den beiden anstehenden Studien bestätigt werden, stünde Schizophrenie-Patienten der erste neue relevante Therapieansatz seit den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts zur Verfügung. Für Newron ist das die Chance auf einen sogenannten Blockbuster.
Beim bestehenden klassischen Therapieansatz mit Anti-Epileptika kommt es immer wieder zu Nebenwirkungen. Wodurch werden diese bei Verwendung von Evenamide begrenzt?
Evenamide hat in der vorliegenden Studie als Zusatztherapie keine relevanten zusätzlichen Nebenwirkungen gezeigt, obwohl es relevante zusätzliche Wirksamkeit aufwies. Der erste Vorteil des Patienten ist daher, dass die Wirksamkeit seiner heutigen Medikation über die oben schon genannten 18 Monate hinaus erhalten bleiben kann, wenn zusätzlich Evanamide gegeben wird. Diese Option der Weiterbehandlung anstatt des Absetzens eines vorher ausreichend wirksamen Medikaments ist für Ärzte und Patienten ein erheblicher Fortschritt. In einer zweiten Stufe bietet es sich an, die Dosis der heutigen Medikamente zu reduzieren und somit deren Nebenwirkungen zu mindern.
Wie gross ist die Chance, dass sich Evenamide einmal sogar als Monotherapie durchsetzt?
Evenamide hat seine Wirkung als Monotherapie in vielen Modellen bewiesen. Das Marktpotenzial als Zusatztherapie ist durch das neue Behandlungsparadigma jedoch erheblich grösser, da das Medikament nicht als Wettbewerber heutiger Medikamente positioniert ist, sondern als Zusatztherapie für alle heute verfügbaren Medikamente.
„Es wird sicher Versuche geben, Preisübertreibungen einzufangen, aber gerade im Bereich der seltenen Erkrankungen gilt, dass nur über einen ausreichenden Erstattungsbetrag pro Patient und Jahr die Kosten der Entwicklung eines Medikaments wieder eingespielt werden können.“
Immer mehr Regulierungsbehörden deckeln die Medikamentenkosten. Das musste Newron beispielsweise in Italien erfahren. Wie sehr wird sich diese Tendenz bei den Gesundheitsbehörden in den nächsten Jahren verstärken?
Wir sehen diesen Trend seit Jahren in Europa und vernehmen die Diskussion auch immer wieder in den USA. Es wird sicher Versuche geben, Übertreibungen einzufangen, aber gerade im Bereich der seltenen Erkrankungen gilt, dass nur über einen ausreichenden Erstattungsbetrag pro Patient und Jahr die Kosten der Entwicklung eines Medikaments wieder eingespielt werden können, welches nur in wenigen Tausend Patienten weltweit Einsatz finden wird. Newron greift dieser Diskussion konkret vor, indem wir die grösste je durchgeführte sogenannten «Burden-of-Disease»-Studie durchführen. Wir ermitteln also erstmals die Gesamtkosten der Rett-Erkrankung. Mit den Ergebnissen dieser Erhebung und dem Nachweis der Wirksamkeit der «STARS»-Studie, die im Laufe des Jahres 2018 vorliegen sollten, sehen wir den Diskussionen mit den Zulassungs- und Erstattungsbehörden zuversichtlich entgegen.
Eine Geldverbrennung gibt es bei Newron zurzeit nicht mehr, da erste grössere Einnahmen durch Medikamentenverkauf und Meilensteinzahlungen erfolgen.
Werden Sie jetzt wieder vermehrt in R&D investieren?
Auch wenn wir mit viel Entwicklerstolz sehen, wie Parkinson-Patienten weltweit von «unserem» Xadago profitieren und sich die Erlöse in unseren Büchern zu stattlichen Beträgen entwickeln. Und auch wenn wir nach den fünf Jahren, die es bei Neurologie-Produkten bis zum Erreichen der Spitzenumsätze dauert, noch immer lange Patentrestlaufzeiten (2029 in der EU, 2031 in den USA) aufweisen: Xadago ist nur der Anfang, unser Ziel ist die Vermarktung eigener Produkte. Das können schon in wenigen Jahren Sarizotan für Rett-Patienten oder Evenamide in einer Subpopulation der Schizophrenie sein. Newron ist insofern nicht «fertig», ist aber schon jetzt eines der ganz wenigen Biopharmazieunternehmen Europas, das nicht nur ein relevantes Produkt zugelassen hat, sondern zwei weitere Entwicklungskandidaten in sogenannten pivotalen Entwicklungsphasen aufweist, sprich mit potenziell zulassungsrelevanten Studien. Beide Produkte könnte Newron selbst ganz oder teilweise selbst vertreiben, was unseren Aktionären erhebliches Wertsteigerungspotenzial bietet.
„Xadago ist nur der Anfang, unser Ziel ist die Vermarktung eigener Produkte.“
Im Jahr 2018 laufen 5 Millionen Euro Fördergelder der Regierung aus Italien, Newrons Heimat, aus. Sie müssen nur noch einen kleinen Restbetrag zurückzahlen. Diese Gelder waren teilweise nur mit 0,5 Prozent zu verzinsen. Planen Sie bereits Ersatz oder sind sie nach der Privatplatzierung im Umfang von 27 Millionen Franken von Ende September 2017 «satt»?
Nach der von Ihnen angesprochenen Privatplatzierung wiesen wir Bankguthaben von ca. 65 Millionen Euro auf. Das reicht, um die anstehenden Studien zu finanzieren und unseren Aktionären Chancen auf erhebliche Wertsteigerungen zu sichern. Wir werden auch in Zukunft Finanzierungs-Alternativen anstreben, die ohne Ausgabe neuer Aktien erfolgen, also unsere Aktionäre nicht verwässern. Schon in der Vergangenheit haben wir von Angeboten zur Innovationsförderung der Region Lombardei, der Republik Italien sowie der EU profitiert. Das aktuell wichtigste Programm sind italienische Steuergutschriften zur Förderung von Forschung und Entwicklung, die im Umfang deutlich über den von Ihnen angesprochenen Fördergeldern liegen und – Stand heute – bis 2020 abgerufen werden können.
Zum Gesprächspartner:
Stefan Weber, deutscher Staatangehöriger, ist seit 2012 Chief Executive Officer und Executive Director von Newron. Seit 2005 war er bereits dessen CFO. Er hat einen Masterabschluss der Fern-Universität Hagen (Diplom-Kaufmann) und mehr als ein Vierteljahrhundert Industrie-Erfahrung in Finanzabteilungen, vornehmlich als Chief Financial Officer von privaten und kotierten Biotech-Unternehmen. Von 1987 bis 1999 arbeitete er bei Lohmann Group, einem weltweiten Hersteller von pharmazeutischen, medizinischen und technischen Gebrauchsgütern. Danach arbeitete Stefan Weber ab 1999 fur Girindus, ein Feinchemikalienunternehmen, deren CFO er 2000 wurde. Von 2001 bis 2005 war er CFO von Biofrontera, einer Medikamentenentwicklungs-Boutique. Stefan Weber hat in seiner Karriere zahlreiche Finanzierungstransaktionen, M&A, Restrukturierungen und Devestitionen erfolgreich durchgeführt.