Heute in der NZZ am Sonntag ein Artikel über die Auslandvermögen der Schweizer welche bei einer Auflösung der Wechselkursuntergrenze wieder massiv abgewertet würden. Auch eine Ansicht bzw. ein pro Punkt für den Mindestkurs 1.20 neben der Unterstützung von Export und Tourismus Industrie.
Gibt die Nationalbank den Euro-Mindestkurs von 1.20 Franken auf, würden die Auslandsvermögen der Schweiz um über 100 Milliarden Franken abgewertet. Eine Folge, die kaum thematisiert wird.
Am kommenden Donnerstag wird Thomas Jordan, Präsident der Schweizerischen Nationalbank, in Bern vor die Medien treten und die geldpolitische Lage erklären. Er wird einmal mehr bekräftigen, dass die Nationalbank an der Untergrenze zum Euro festhalte - auch wenn sie im Monat Mai für rund 60 Mrd. Fr. Devisen aufkaufen musste, um die Grenze zu verteidigen. Das hat eine Gruppe von Kritikern auf den Plan gerufen, die sich um den SVP-Strategen Christoph Blocher, Ex-UBS-Konzernchef Oswald Grübel und Pensionskassenberater und Finanzmarktprofessor Martin Janssen formiert. Neuerdings sehen sich auch Teile des Gewerbeverbandes berufen, die Geldpolitik der Nationalbank zu kritisieren (siehe Artikel auf S. 31).
In der Debatte um Sinn und Unsinn der Untergrenze fokussieren die Gegner ausschliesslich auf die Bilanz der Nationalbank, die sich ungebührlich aufblähe, hohe Risiken umfasse und zu grossen (Buch-)Verlusten führen werde. Diese arg verkürzte Sichtweise, welche stets mit einer unzulässigen Analogie zwischen der Notenbank und einer Geschäftsbank arbeitet, blendet die volkswirtschaftliche Dimension der Geldpolitik völlig aus.
Gäbe die Nationalbank die Untergrenze von Fr. 1.20 mitten in der grössten europäischen Krise auf, würde sich der Franken sofort aufwerten, da er eine gesuchte Fluchtwährung ist. Der Wechselkurs zum Euro würde auf Parität (1 € = 1 Fr.) oder darunter fallen. Die Konkurrenzfähigkeit der Schweizer Wirtschaft im Ausland würde sich um 20% verschlechtern, jene des Auslandes sich entsprechend verbessern. Deutsche Handwerker und Gewerbetreibende könnten ihre Leistungen noch günstiger in der Schweiz anbieten. Die hiesige Exportindustrie hingegen sähe sich gezwungen, die Verschlechterung ihrer Wettbewerbskraft mit Entlassungen und Werkschliessungen zu bewältigen - eine weitere Verlängerung der Wochenarbeitszeit würde nicht genügen und ist in vielen Betrieben ohnehin schon Realität. Der Tourismus stünde vor einem weiteren Abgleiten in die Rezession.
Pensionskassen betroffen
Doch das ist nicht alles, der unmittelbar massivste Effekt wird fast nie thematisiert: Die Schweiz mit all ihren Unternehmen, Pensionskassen, Banken, Versicherungen und Privathaushalten verfügt über sehr viel mehr Guthaben im Ausland als Schulden. Jede Pensionskasse legt aus Diversifikationsgründen einen substanziellen Anteil ihrer Vermögen in europäischen Aktien, Firmenanleihen und Staatsobligationen an. Die Schweiz gehört, gemessen an ihrer Grösse, zu den bedeutendsten Netto-Gläubigern der Welt: Sie exportiert Jahr für Jahr wertmässig mehr Güter und Dienste, als sie importiert. Als Resultat davon steigen ihre Guthaben im Ausland. Auch wenn ein Konzern wie Nestlé die San-Pellegrino-Quelle in Italien kauft, steigt das Auslandsvermögen der Schweiz.
Konkret verfügte die Schweiz Ende 2011 über Auslandguthaben im Wert von 3232 Mrd. Fr. (siehe Tabelle). Die Schulden gegenüber dem Ausland beliefen sich jedoch bloss auf 2346 Mrd. Fr. Mit anderen Worten: Netto belaufen sich die Guthaben der Schweiz im Ausland auf 886 Mrd. Fr.
Zu beachten ist die währungsmässige Zusammensetzung: Die Schweizer halten Guthaben von netto 640 Mrd. Fr. in Euro, von 502 Mrd. Fr. in Dollars und von 677 Mrd. Fr. in übrigen Devisen. Betrachten wir nur den Franken, ist es umgekehrt: Da mehr Ausländer hier Geld in Franken horten als umgekehrt, schulden wir dem Ausland netto 965 Mrd. Fr. Insgesamt aber, über alle Währungen betrachtet, sind die Guthaben der Schweiz im Ausland viel höher als die Verpflichtungen.
Falls die SNB die temporäre Anbindung an den Euro jetzt aufgäbe, ist zu erwarten, dass der Franken sofort erstarken würde. Nimmt man an, dass der Euro zu 1 Fr. getauscht würde, hätte dies gravierende Folgen: Unsere Auslandguthaben würden massiv entwertet. Cédric Tille, Professor am Graduate Institute for International and Development Studies an der Universität Genf, hat für die «NZZ am Sonntag» überschlagsmässig berechnet, wie der Effekt auf die Auslandguthaben zu veranschlagen wäre. «Wenn der Franken von 1.20 je Euro auf 1.00 sinken würde, müsste man bei den Schweizer Auslandguthaben, die in Euro gehalten werden, netto mit einem Wertverlust von 106,6 Mrd. Fr. rechnen», sagt Tille. Das ist ein Betrag, der 19% des Bruttoinlandprodukts der Schweiz entspricht - und das ist nur der erste, direkteste Effekt. Tille, der während neun Jahren bei der US-Notenbank Federal Reserve (Fed) in New York gearbeitet hat und im Bankrat der Schweizerischen Nationalbank sitzt, hat diese Werte auf Basis der Nationalbank-Statistik über die Auslandsvermögen der Schweiz errechnet.