In jedem Marktumfeld finden sich unterbewertete Titel
Vermögensverwalter Georg von Wyss erklärt, warum Aktien halten und kaufen mehr Rendite bringt als kurzfristiges Handeln. Von Charlotte Jacquemart
Kaum jemand im Lande ist so von Aktien überzeugt wie Thomas Braun und Georg von Wyss. Was Warren Buffett für die USA, sind die zwei für die Schweiz. Seitdem sie 1997 ihre eigene Vermögensverwaltung gegründet haben, folgen sie einem einzigen Credo: das Vermögen ihrer Kunden - und das eigene - nur in Aktien zu investieren. Von Diversifikation in andere Vermögensanlagen halten sie nicht viel. Von Wyss erklärt, wieso: «Weil man mit Aktien Teile an realen Firmen besitzt, die über die Jahre den grössten Wertzuwachs erzielen. Jeder Franken, der anders investiert wird, kreiert Opportunitätsverluste.»
Selbst älteren Semestern empfehlen die zwei Vermögensverwalter, ihr Vermögen zu 100% in Aktien zu halten. «Die Lebenserwartung ist heute so hoch, dass man auch mit 65?Jahren noch einen Anlagehorizont von mindestens 20 Jahren hat. Selbst während der Pensionierung erlebt man noch mehrere Börsenzyklen. Das war vor 60 Jahren, bei der Einführung der AHV, anders», analysiert Braun.
Gilt die Theorie auch für Leute mit wenig Geld, die eben gerade nicht über die vielzitierte sogenannte Risikofähigkeit verfügen? Diese Art von Risikofähigkeit ist für Braun und von Wyss eine Mär. «Gerade wenn jemand nicht viel Geld besitzt, sollte er es in Aktien investieren. Weil man nur damit über die Jahre auf einen grünen Zweig kommt.» Grund dafür ist der Zinseszinseffekt: Auch eine Renditedifferenz von nur 1% pro Jahr wächst über ein Leben zu einem ansehnlichen Betrag.
Nur: Wie soll man in Aktien investieren? Wenig verwunderlich, verfolgen Braun und von Wyss konsequent den sogenannten Value-Ansatz. Ihr Vorbild dabei ist Benjamin Graham, der schon vor dem Zweiten Weltkrieg erkannte, dass der Wert von Firmen zwar über- und unterschiessen kann, letztlich aber irgendwann immer zu seinem fairen Wert zurückkehrt. «Natürlich gelingt es nicht im Falle jeder Firma, die wir analysieren und kaufen, die sogenannte Value-Prämie einzukassieren. Über die Jahre hat man aber gute Karten, es in vielen Fällen erfolgreich zu tun», sagt Braun. Gemäss einer Studie von Eugene Fama und Kenneth French aus den neunziger Jahren beträgt die Value-Prämie für viele Märkte um die 5%. Ein Blindflug ist der Weg von Value-Investoren nicht. Braun und von Wyss spüren mit ihrem Team sehr gezielt unterbewertete Firmen auf. Sie studieren Zahlenmaterial zu Firmen, Branchen, Umfeld und schätzen nach eingehender Analyse einen inneren Wert. «Dieser wird beobachtet und korrigiert, wenn nötig.» Das Wissen um den inneren Wert einer Aktie beruhige in Phasen von Börsenbaissen sehr, sagt von Wyss. «Wir wissen mittlerweile, dass wir so falsch nicht liegen.»
Diese unterbewerteten Titel über längere Zeit zu halten, lohnt sich ebenfalls. Die Forschungsfirma Dalbar verfasst seit 1994 jährlich eine «Quantitative Analysis of Investor Behavior», deren Resultate für sich sprechen: Über die letzten 30 Jahre erzielte der aktive Markt-Timer nur rund ein Drittel der Rendite eines passiven Investors (siehe Tabelle). Das ist deshalb so, weil Anleger dazu neigen, Aktien zu verkaufen, nachdem sie Papierverluste erlitten haben. Mit dem Wiedereinstieg kommen sie dann aber zu spät: nämlich dann, wenn die Märkte einen Grossteil der Verluste bereits wiedergutgemacht haben. Damit macht man die Marktkorrekturen voll mit, während man von steigenden Märkte nicht im ganzen Umfang profitiert.
Diese Emotionalität der Investoren ist letztlich auch die Crux des Value-Investierens: Man muss Baissen aushalten können. «Das ist eine andere Art von Risikofähigkeit», sagt von Wyss. «Es gibt Leute, die ertragen es nicht, wenn ihr Depot auf dem Papier plötzlich 20% weniger Wert besitzt. Für solche ist Aktiensparen nicht geeignet.» Die beiden haben es selbst erlebt, wie es ist, sich durch Baissen durchzubeissen. 2008 verlor das Flaggschiff ihrer Gesellschaft mehr als 50%. Gleichzeitig beweisen die Value-Investoren damit, dass ihre Anlagestrategie aufgeht: denn seit Auflegen ihres Classic Global Equity Fund 1997 hat dieser 10,6% pro Jahr an Wert hinzugewonnen, trotz dem «annus horribilis» 2008. Das ist jährlich fast fünfmal mehr als der Benchmark MSCI. Dies in Franken, obwohl das Portefeuille zu 80% in Fremdwährungen steckt.
Wie einfach ist es aber, nach vier Jahren Börsenhausse noch Firmen zu finden, die unter dem inneren Wert gehandelt werden? «Wir müssen einfach mehr Steine umkehren, bis wir etwas finden», sagen die zwei. «Es ist einfach mehr Arbeit als vor fünf Jahren.» Dass es ihnen gelingt, stellen sie regelmässig unter Beweis: Im ersten Quartal 2014 «entdeckten» sie den amerikanischen Pay-TV-Anbieter DirecTV, die dänische Investmentgesellschaft Rella Holding und Rent-A-Center, welche langlebige Konsumgüter gegen wöchentliche Ratenzahlungen verkauft.
Quelle:
NZZaS, Von Jacqueline Jacquemart